IMPRO 2013: Durch 3 Epochen in der Markthalle 9

BERLIN – Am Montag den 18. und Mittwoch den 20. März 2013 beanspruchte eine Show im internationalen Festival der Gorillas das gesamte Ensemble von über 40 Improvisieren. Unter der Überschrift “3 Epochen in der Markthalle 9” wurde ein einzigartiger Ort mitten in Berlin-Kreuzberg zur Spielfläche eines außergewöhnlichen Experiments: Eine Zeitreise vom Anfang der 80er Jahre, über die Nachkriegszeit 1948 bis in die “Goldenen Zwanziger”.

Foto: Marco
Foto: Marco

In der Markthalle waren dafür 3 Orte präpariert, die nacheinander als Kulisse dienten. Die Zuschauer konnten sich in und um die jeweilige Szenerie (eine Art Biergarten, ein Boxring, eine Freifläche mit einigen Möbeln) frei bewegen. Jede der 3 dargestellten Epochen wurde von passend kostümierten Improvisateuren bespielt: Hippies, Fundis und Realos in den 80ern; amerikanische und französiche Soldaten, Schwarzmarkthändler und Swing-Tänzer in den 40ern; Boxer, elegante Frauen und Männer in den 20ern. Die Akteure suchten sich jeweils einen zu ihrem Kostüm passenden Charakter und integrierten diesen als Passenger in die Gesamtszene. In der Regel gab es eine improvisierte Haupthandlung, in der sich die Figuren mehr oder weniger beteiligten. Das Publikum wurde immer wieder aufgefordert, sich am Geschehen zu beteiligen (z.B. Plakate für die nächste Demo zu malen).

Um diesem Experiement mit seiner Tragweite, seinem enormen Aufwand und auch dem dazugehörigen Mut wirklich Rechnung zu tragen, sind in diesem Artikel die – durchaus unterschiedlichen – Meinungen von vier Autoren zusammengestellt. Claudia Hoppe, Marco Brüders und Macro besuchten die zweite Vorstellung am Mittwoch und Thomas Jäkel den Montag Abend.

von Thomas Jäkel:

Ein Abend voller Fragen und allein deswegen sehenswert

Für mich, war es ein Abend voller Fragen. Vielleicht lag es dran, dass sich am Montag in der Markthalle 9 weder Zuschauer noch Spieler auf dieses gewagte Experiment wirklich einlassen konnten, da niemand recht zu wissen schien, was hier eigentlich vor sich ging.

3 Epochen der Markthalle - Die 20er Jahre
Foto: Macro

Diesen wunderbaren Ort mit Theater und Leben zu füllen, bietet sich wirklich an. Warum aber tagen die Hausbesetzer in einer Markthalle? Sicher waren die Hausbesetzer in Kreuzberg für die 80er Jahre prägend, aber doch nicht in einer Markthalle – oder ist der Ort nicht so wichtig an diesem Abend? Dagegen sind die Nachkriegszeiten in einer Markthalle, in der es für die Deutschen kaum etwas zu kaufen gibt, hoch interessant. Hier fand versteckter Schwarzhandel statt, hier sind wir dann wieder in dieser Markthalle und in Kreuzberg, dem Amerikanischen Sektor. Da passen Ort und Geschichte perfekt, jedoch die 20er sind mir persönlich zu bunt und aufgedreht, in diesem damals doch stinkendem Arbeiterviertel am Osthafen. Genau hier war doch diese sprichwörtliche Berliner Mietskaserne mit ihren überteuerten Wohnungen, den finsteren Hinterhöfen und Schlafgängern zu finden. Also wieder raus aus der Markthalle? (Leider werden die 20er Jahre allgemein für meinen Geschmack zu bunt dargestellt.)

Eine Frage stellt sich mir auch zur Atmosphäre: Warum findet das Geschehen nicht gleichzeitig oder auf jemanden fokusiert statt? Es wandert zwischen einzelnen Aktionen und größeren Bewegungen hin und her. Mal ist es stimmig, mal wird eine Pause plötzlich zum Loch. Beim Herumschauen blicke ich in viele ratlose Gesichter: Aufstehen, sitzen bleiben, dabei sein oder nur zuschauen? Einige scheinen nicht zu wissen, was sie tun sollen. Hier hätte ein klarer oder bewußt kein Fokus vielleicht geholfen.

Die größte Frage für mich steht aber am Ende: Was sollte hier vermittelt werden? Warum sollten wir in diese Zeiten eintauchen? Gibt es da vielleicht Parallelen, die wir erkennen können? Jemand fragt: Warum reisten wir eigentlich rückwärts durch die Geschichte? Kommen nicht aus den 20ern (und deren schwierige Verhältnisse) die Nazis, deren Politik zum Berlin teilenden Weltkrieg führt, was die Hausbesetzer im ummauerten Kreuzberg zusammendrängt? Wollte man uns nur mit Tanz und Musik der “Goldenen Zwanziger” beschwingt nach Hause schicken? Ich glaube nicht! Denn das Programm verspricht: Die Halle “spiegelte und spiegelt auch immer die Geschichte Kreuzbergs wider”, der man “auf ganz besondere Weise Rechnung tragen” will. Und das ist es, was ich sehen will.

Ich denke nicht, dass die Fragen falsch beantwortet, ich denke, dass manche unbeantwortet waren. Einen solchen Ort mit der Spontanität der Improvisation zum Leben zu erwecken, ist ein brilliantes und in den letzten Jahren bewiesenes Konzept. Ich hoffe sehr, man bringt den Mut erneut auf und fragt sich noch intensiver, was ein Ort erzählen kann. Für mich ein Abend voller Fragen und allein deswegen sehenswert.

von Claudia Hoppe:

Ein für mich unvergesslicher Abend

Für mich war es allein schon toll, alle diese großartigen Impro-Spieler auf einem Haufen versammelt zu sehen: So viele Menschen, bei denen ich gelernt habe, trainiert habe, die mich inspiriert haben, in einer Show zusammen spielen zu sehen, hat bei mir Gänsehaut ausgelöst.

3 Epochen der Markthalle - Hippi und Volxküche in den 80er Jahren
Foto: Macro

Die Show selbst lebte für mich größtenteils durch ihre Atmosphäre. Mit so einer Menge an Spielern und in Anbetracht der Größe und Unübersichtlichkeit der Markthalle, stelle ich es mir schwierig vor, diesen Ort wie eine klassische Impro-Bühne zu bespielen. So gab es kleine Mikro-Geschichten in jeder Epoche, die improvisiert waren, jedoch keinen, den Abend umspannenden Geschichtsbogen. Durch die liebevoll gestalteten Kostüme und die Maske waren die Spieler für jeweils eine Sequenz auf eine Figur festgelegt (als eines der Highlights hier für mich hervor zu heben wäre Lee White als Hippie, der selbst von Zuschauern unbeobachtet seiner Rolle jede Sekunde treu blieb, in seinem Jesus-Outfit durch die Gänge schlich und Bäume umarmte).

Natürlich kann man sich fragen: Warum bedarf es dann so viele der weltbesten Impro-Spieler, um so ein Format auf die Bühne zu bringen? Nun, es scheint offensichtlich, dass es deutlich leichter ist, dieses Format an diesem Ort mit Impro-Spielern zu inszenieren, denn als klassisches Schauspielstück (mit einstudierten Texten etc.), das ein gewisses Maß an Proben an diesem Ort und zeitlichen Vorlauf voraussetzt. Dieses wäre jedoch schon aufgrund der anderweitigen Nutzung und Auslastung der Location gar nicht möglich gewesen. Der Vorteil von Impro ist hier eindeutig, dass es all dieser Vorbereitung, des Auswendiglernens der Texte, der häufigen Proben am Auftrittsort, nicht bedarf, sondern die Leute in ihre Kostüme und damit ihre Figuren schlüpfen und dann ad hoc loslegen können. Und ich finde, das ist auch ganz toll gelungen. Das Festival-Ensemble hat hier einen für mich unvergesslichen Abend geschaffen!

von macro:

Schön, so dicht dran gewesen zu sein

3 Epochen der Markthalle - Die Nachkriegszeit
Foto: Macro

Ich fand die Durchmischung von Bühnenraum und Publikum sehr reizvoll und gelungen, es schaffte für jeden Zuschauer ein sehr individuelles Erleben des Geschehens. Im 80er Jahre Plenum reagierte das Publikum erst noch verhalten, ließ sich aber vom gewaltbereiten Dan Richter (Foxy Freestyle, Berlin) dann auch zu wütenden Protesten gegen die Polizei anstacheln.

In der Nachkriegsepisode schritten sogar Zuschauer beherzt ein und beschützten schickanierte Spieler. Und der Nazi – überzeugend widerlich Björn Harras (Die Gorillas, Berlin) – regte bei mir und wohl auch bei anderen Zuschauern sofort frösteln und Widerstand. Einzelne Schauspieler herauszuheben ist aber eigentlich ungerecht, alle waren in ihren Figuren sehr wahrhaftig.

Die aufwändige Garderobe und Maske sorgt eben sofort auch für eine innere Haltung, die alle Figuren zu starken Erscheinungen werden ließ. Dieses opulente Fest fürs Auge ließ zumindest eine Ahnung der jeweiligen Epoche aufkommen. Die Fülle an spannenden Momenten war groß, trotzdem hatte ich nie das Gefühl, irgendwas zu verpassen. Selbst bei akustisch schwer zu verstehenden Teilen boten sich immer andere interessante Blickpunkte. Schön, so dicht dran gewesen zu sein.

von Marco:

Mit großem Aufwand etwas Interessantes geschaffen

Ich bin sehr gespannt zu dieser Veranstaltung gegangen, da mir durch die Ankündigung und Vorberichterstattung klar war, dass es sich dabei um ein groß angelegtes  Impro-Laboratorium handelte, dessen Ausgang für keinen wirklich absehbar war. 40 Improvisateure zwischen 150+ Zuschauern, dazu dynamische Spielortwechsel in einer großen, akustisch schwierigen Halle: das hätte sehr chaotisch und unübersichtlich werden können.

So war ich insgesamt positiv überrascht, dass es dem Ensemble nicht zuletzt auch mit Hilfe von aufwändigem Einsatz von passenden Kostümen und Schminke gelang, zu allen 3 bespielten Epochen eine dichte Atmosphäre in die Halle zu zaubern, in die man sich als Zuschauer hineinfallen lassen konnte. Ich habe den Geist der Anarchie und die Widersprüche der 80er gespürt. Ich empfand die angespannte  und doch irgendwie erwartungsfrohe Stimmung der Nachkriegsjahre. Und die unbeschwerten 20er Jahre lebten für mich einen kurzen Moment auf.

3 Epochen der Markthalle - Boxkampf in den 20er Jahren
Foto: Macro

Stark war diese „Show“ immer dann, wenn es um das Setting, das „Atmosphäre-Schaffen“ durch einzelne markante Aktionen ging.  Konkrete Geschichten oder gar Handlungsstränge hingegen wirkten meist konstruiert oder waren erst gar nicht vorhanden. Es war vergleichbar mit einem Mittelaltermarkt, bei dem das zahlende Publikum zwischen Haudegen, Huren und Marktfrauen umherläuft und ab und zu ein Schwertkampf oder eine Hexenverbrennung stattfindet, nur eben für andere Epochen.

Da drängt sich dann natürlich die Frage auf: Was genau hat das mit Improtheater zu tun? Eine vermutlich treffende – wenn auch nicht befriedigende – Antwort:  Ein ähnliches Resultat mit „normalen“ Schauspielern zu erreichen, würde einen ungleich höheren Aufwand an Skripting und Proben erfordern. Andererseits wurde gerade die meiner Ansicht nach intensivste Szene – der Boxkampf in den 20ern – von extra für diesen Zweck engagierten Boxern getragen. Auch wirkten die meisten der Improvisateure unterfordert, da aus Fokusgründen bei einer Massenszene naturgemäß nur wenige jeweils im Vordergrund agieren können.  Eine schöne Idee hierzu waren die einige kleine Interaktionen mit dem Publikum am Rand der eigentlichen Szene, wie z.B. die Schwarzmarkthändlerin, die dem Publikum allerlei Dinge mit Zigaretten abzukaufen versuchte.

Bei mir bleibt das Gefühl: Hier wurde mit (für Improtheater-Verhältnisse) großem Aufwand etwas Interessantes geschaffen, was durchaus Spaß machte. Aber ich kann mir vorstellen, dass in Richtung “Reality-Improtainment” noch mehr Potential liegt.

 

Thomas Jäkel
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