IMPRO 2013: Das Publikum weiß, was es sehen will

switch to english versionvon Thomas Jäkel:

BERLIN – Der Sonntag Abend (17.03.2013) im BühnenRausch bot die englische Ausgabe der Festivalshow “DAS ISSES”, die im Rahmenprogramm der IMPRO 2013 ein Zusammentreffen von internationalen mit Berliner Spielern ermöglichte. UND dieses multinationale Verbindung wurde überdies noch durch ein Format gekrönt, das Randy Dixon von Unexpected Productions aus Seattle mitgebracht hatte: “Blank Slate”.

Die Idee bei “Blank Slate”, was soviel wie leere Tafel bedeutet, ist keine geringere, als dass das Publikum seine eigene Geschichte erfindet. Dixon geht dabei von der Prämisse aus: Das Publikum weiß, was es sehen will und kann deshalb die Regie übernehmen. Natürlich funktioniert dies nur mittels einer Moderation, die erfrischend unaufgeregt von Mr. Dixon persönlich übernommen wurde.

Die Bühne des BühnenRauschs war ebenfalls gut gefüllt, denn der Festivalcast bestand aus 7 Spielern und einem Musiker. Nun galt es, alle mit einem Charakter auszustatten: Zuerst wählten die Zuschauer Naomie Snieckus vom National Theatre of the World die mit dem Vornamen Patmita, dem Nachnamen Schwarzenbach, dem Beruf Übersetzerin für Literatur und einem Freund mit Kind (von dem sie aber nichts wußte) ausgestattet wurde. In zwei kurzen Monolgen erfuhren wir dann, dass sie gern übersetzt, weil sie so alle Geschichten in ein Happy End verändern kann und dass sie wirklich keine Kinder mag. Bereits hier wurde klar, wie reichhaltig so die Charaktäre werden können, besonders wenn eine so begatbe Spielerin wie Naomi Snieckus mit jedem Halbsatz eine neue Schattierung einzuziehen vermag.

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Randy Dixon befragt das Publikum, Foto: Thomas Jäkel

Allen Improvisateuren wurde nun so ein Charakter verpaßt, was durch die unterschiedlichen Abfragen von Randy Dixon und dem immer mehr auftauenden Publikum zu unterhaltsamen 50 Minuten wurde. Sehr schön konnte man zum Beispiel bei Maja Dekleva vom Kolektiv Narobov aus Slovenien sehen, wie die langsame Abfrage ihr die Chance gab sehr körperlich in die Figur der siebzigjährigen Katrin Albrecht zu schlüpfen, die wegen Mordes an ihrem Mann im Gefängnis saß. Diese schauspielerischen Verwandlungen bei der Charakterentwicklung waren so unterhaltsam, dass man sich wegen einer bis dahin fehlenden Story nicht zu beschweren brauchte.

Der größte dramaturgische Kniff des Formats folgte aber anschließend. Dixon ließ die 6 Frauen und den einen männlichen Spieler – der ausdrucksstarke Martin Wilke von den Unverhofften – sich aufstellen und in kurzen Stichpunkten die Charaktere erinnern. Dann wurden vom Publikum mögliche Verbindungen zwischen den Figuren erdacht. So verband man die reiche Immobilienbesitzerin Mara Whitbread – großartig von Uta Walter vom Theater ohne Probe gespielt – als Mutter des Exfreunds mit der IT-Entwicklerin Tschischek Doröse, welche von Billa Christe von den Gorillas Berlin charmant und mutig verkörpert wurde. Es waren genau solche Verbindungen, die den weiteren Verlauf bestimmten und die Charaktere in den folgenden 6 Szenen zusammen hielten. Randy Dixon unterbrach immer wieder und fragte, wie sich die Figuren entscheiden sollen oder was sie wirklich wollen.

Die Grenze zwischen Spielern und Zuschauern völlig verwischt

Nach 90 Minuten war Pause und man fragte sich: Schon? Das Publikum war stets dabei, dachte mit, entwickelte und ließ sich von den Spielern überraschen. Die zweite Halbzeit begann mit Zweierszenen und erreichte mit der Szene zwischen einer Rabbinerin – stark gespielt von Barbara Demmer von ImproBerlin – und der Übersetzerin vielleicht ihren humoristischen Höhepunkt, als Naomi Snieckus mit Genuss ihre Änderungen an der Geschichte der Tora vortrug. Da konnte auch der sehr sympatische Nigel Rajaratnam von Impro Comedy Mumbai am Klavier vor Lachen nicht mehr weiter spielen. Spätestens hier war die Grenze zwischen Spielern und Zuschauern völlig verwischt.

Thats It! Von Links Martin Wilke, Naomi Snieckus, Alieke van de Wijk, Maja Dekleva, Barbara Demmer, Billa Christe, Uta Walter, Foto: Thomas Jäkel

Mit einer dreifachen Split-Screen-Szene band Randy Dixon die Geschichten zusammen. Hierfür wurden noch letzte Entwicklungen erfragt und dann in einem schnellen, wenn auch nicht immer sauberen Fokuswechsel eine metaforische Lösung der Geschichten gefunden. Ein Monolog von Maja Dekleva entließ das Publikum im Regiesessel mit einem etwas morbiden Abschluss – aber die “Tafel” war wirklich nicht mehr “blank”.

Mit diesem Abend bot die IMPRO2013 ein hoch interessantes Format, das bewies, dass Ruhe und ein ausführliches Befragen der Zuschauer wirklich unterhaltsam sein kann. Selbstverständlich kamen auch krasse Vorschläge, die Randy Dixon mit einer kurzen Rückfrage ans gesamte Pubikum als das zurückweisen konnte, was sie waren, unpassend. Somit entwickelten wirklich die Zuschauenden aus ihrer relaxten Haltung die Geschichte, trieben sie voran und verwickelten die Figuren in Konflikte und spannende Beziehungen. Natürlich hat alles seine Schattenseiten, denn je mehr ein Regisseur in den Verlauf eines Abends und einzelener Szenen eingreift, desto weniger Platz bleibt für die Improvisateure, ihr Spiel zu entfalten. Gern hätte man zum Beispiel noch mehr von einer so starken Spielerin wie der hier noch nicht erwähnten Alieke van der Wijk von Troje aus Amsterdam gesehen. Aber wenn das Publikum schon entscheiden darf, dann kann man nicht alles haben und wenn ich entscheiden dürfte, dann würde ich gern mehr solche Abende wie diesen sehen. DAS ISSES!

Thomas Jäkel
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