„Für immer Sommer 90“ durchwachsenes Drama-Impro in der ARD

Screenshot: ARD Mediathek

vom macro:

TV/WEB – Am Mittwoch, den 06.01.2021 lief zur Prime-Time das improvisierte Drama „Für immer Sommer 90“ mit Charly Hübner in der Hauptrolle. In der Mediathek als Impro-Serie in 4 Teilen ansehbar, liefen im TV dann alle Folgen als durchgehender 95 Minuten Film.
Regie führten gemeinsam Lars Jessen (u.a. „Dorfpunks“, „Fraktus“) und Jan Georg Schütte, der mit „Altersglühen – Speed Dating für Senioren“ (2014, Grimme-Preis), „Wellness für Paare“ oder „Klassentreffen“ als TV-Experte für improvisierte Filme gilt.

Das Vorgehen

Die Regisseure Jessen und Schütte entwickelten gemeinsam das Setting, also den Ablauf der Geschichte. Die Schauspielenden erhielten dann jeweils erst am Drehort kurze Angaben bzw. Aufgaben, die in der Szene erfüllt werden sollen. Jede Szene wurde nur einmal mit mehreren Kameras gedreht, die Dialoge entstanden somit improvisiert.
Gerade technisch ist das Ergebnis sehr überzeugend. Die Bilder sind sehr gelungen, Licht und Ton ebenso. Da werden selbst ins Auto reingerufene Sätze gut eingefangen und geben der Miniserie einen stimmigen Look.

Inhaltliche Gestaltung

Inhaltlich ist es ein Roadmovie. Hauptfigur Andy Brettschneider erhält els erfolgreicher Banker anonym den Vorwurf einer Vergewaltigung auf einer Party vor 30 Jahren (eben der Sommer 90). Er kann sich aber an den Vorfall nicht erinnern. Daraufhin fährt er nach und nach die alte Clique ab und versucht sich so den Geschehnissen zu nähern. Dem entsprechend entstehen viele für die Improvisation günstige Zwei-Personen-Szenen. Dazwischen werden Einstellungen auf dem Weg eingestreut, am Steuer, an einer Tankstelle oder Imbissbude.

Die Improvisation

Hier liegt das große Problem: Improvisation hat es am schwersten, wenn ein Plot im Hauptfokus steht. Die Figuren waren doch sehr platt und stereotyp. Ein Banker, der sofort jedes Klischee eines Arschlochs erfüllt, hat nichts verbindendes. Ich konnte mich nicht mit dieser Figur verbinden und deshalb interessierte mich die Frage kaum, ob er es nun war oder nicht. Besonders zu Beginn fallen viele Neins zu Angeboten der Mitspielenden. Zum Teil werden Angebote gemacht (vermutlich durch die Aufgaben), die fernab der Möglichkeiten der aktuellen Realität stehen. Es wirkt oft sehr artifiziell. Eine Art Traumsequenz eines Mannes mit Anzug und Vogelmaske bleibt rätselhaft, ohne aber den Punch eines David Lynch zu entwickeln.

Erst eine Zwischenszene an der Tankstelle (Monolog eines Arbeiters einer Fleischfabrik großartig gespielt von Božidar Kocevski) zeigt wirkliche dramatische Stärke. Ebenso die spätere Zwischenszene am Imbiss (Jan Georg Schütte) ist komödiantisch und sehr unterhaltsam.

Ergreifend wird dann das Gespräch von Andy mit Marina (Stefanie Stappenbeck) – denn hier sehen wir nicht mehr gepanzerte Stereotypen sondern zwei echte Menschen treffen sich. Und hier zeigt sich die Stärke von Improvisation: von den Figuren ausgehend Emotionen erforschen und Schritt für Schritt intensiver werden lassen.

Wie sollen wir denn jetzt aus der Scheiße rauskommen?

Am Ende trifft Andy auf seinen ehemaligen besten Freund Ronny, Urheber der Vorwürfe. Das alles ergibt nicht wirklich viel Sinn. Ich habe mich gefragt, ob der Satz von Andy „Wie sollen wir denn jetzt aus der Scheiße rauskommen?“ nicht eher aus der Ratlosigkeit des Schauspielers Charly Hübner spricht.

Mein Fazit: ich denke hier ist das Setting zu schwierig für vielleicht nicht zu versierte Improvisierende. Durch gutes Schauspiel und vor allem gutes Handwerk der Crew entsteht Fernsehtaugliches. Doch da ist weit mehr drin, da bin ich sicher. Und ich werde weiter Ausschau danach halten.

Die Miniserie ist noch bis zum 06.07.2021 in der ARD-Mediathek ansehbar.

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