Kampf der Giganten: Kunst gegen Klamauk

Von Heike Reissig

Die zweite Show des 6. Kölner ImproFestival wurde als „Kampf der Giganten“ präsentiert. Die Teams: Auf der einen Seite: Clamotta mit Eva Thiel, Stefan Thiel und Markus Hahn, die Organisatoren des Kölner Improfestivals. Auf der anderen Seite: Improstern mit Isolde Fischer (Drama Light, Heidelberg), Mona Tawussi (Stadtgespräch, Hamburg) und Frederik Malsy (Für Garderobe keine Haftung, Wiesbaden), die jeweiligen Gewinner des Goldenen ImproSterns beim Kölner ImproFestival in 2007, 2008 und 2010. Musikalisch begleitet wurden sie von Marco Seypelt am Keyboard. Susanne Pätzold, die diesjährige Schirmherrin des Kölner ImproFestivals, führte in ihrer Rolle „Verona Pooth“, bekannt aus der TV-Comedyshow „Switch Reloaded“, als Moderatorin durch den Abend. Das Gloria war so gut wie ausverkauft, trotz des stattlichen Ticketpreises (21,50 €, wie ich später auf einigen liegen gelassenen Karten sah).

No risk, no fun

Die Magie des Improvisationstheaters lebt vom Mut zum Risiko. Schön und spannend fand ich deshalb zum Beispiel viele Momente in der zweiten Szene des Abends, als die Moderatorin Susanne Pätzold – die übrigens in ihrer Paraderolle „Verena Pooth“ brillierte und zugleich bewies, dass sie sehr viel Ahnung von Improvisationstheater hat, weil sie es selbst seit 20 Jahren macht – das Clamotta-Team mit dem Einruf „Neue Wahl!“ ständig an seine Grenzen brachte und den drei Spielern so ermöglichte, wirklich ganz unverkopft unmittelbar aus dem Moment heraus zu agieren. Genau in solchen Augenblicken entfaltet sich für mich der Zauber des Improtheaters.

Das Team Improstern bewies sehr oft Mut zum Risiko. Die Spieler dieses Teams stehen ansonsten nur selten gemeinsam auf der Bühne, waren also nicht in einer gemeinsamen Routine „gefangen“, was vielleicht ihr Vorteil war. Mit sichtlicher Freude und Unbefangenheit ließen sie sich von ihren Impulsen leiten und probierten alles Mögliche aus.

Foto: H. Reissig

Herrlich fand ich zum Beispiel Isolde in einer Szene, die auf dem Thema „Erster Kuss“ basierte. Vor der Szene befragte sie ein Pärchen im Publikum, das anschließend von Fred und Mona dargestellt wurde. Isolde selbst übernahm dann eine Nebenrolle als Freund des Mannes, der die Pärchenannäherung aus diversen Verstecken heraus beobachtet. Dabei griff sie sich einfach, was auf der Bühne war: Zuerst versteckte sie sich hinter zwei Wasserflaschen, die sie vor sich her trug, dann hinter einem Stuhl, den sie sich griff, dann sogar hinter einer Bank, mit der sie über die Bühne schlich. Das Publikum bog sich vor Lachen, denn dieser Gag war wirklich total spontan und kreativ, ebenso seine Wiederholungen: Sie geschahen jedes Mal mit anderen Mitteln und weil es sich als Running Gag geradezu anbot, aus dem Moment heraus.

Ein weiterer Höhepunkt des Abends war für mich ein Genre-Replay in der Kategorie „Action“. Diese Szene „gehörte“ eigentlich dem Team Clamotta, das sich als Vorgabe dafür die Tätigkeit „Stiefmütterchen pflanzen“ vom Publikum holte.

Foto: H. Reissig

Die neutrale Szene zu Beginn: Eva pflanzt Blumen auf dem Rasen. Sie ist eine Weile allein auf der Bühne. Isolde und Fred vom Team Improstern nutzen spontan die Chance, Evas Angebot zu verstärken und stellen pantomimisch die Stiefmütterchen dar, die sie gerade gepflanzt hat. Im weiteren Szenenverlauf kommt heraus, dass das Rasenstück dem Nachbarn (Stefan) gehört, der natürlich protestiert. Beim Genre-Replay werden die blumigen Nebenrollen dann immer weiter ausgebaut. Im Western-Replay sprechen sie erste Worte als Randbeobachter eines Cowboy-Showdowns, im Krimi-Replay schleichen sie undercover in die Szene („Stiefmütterchen 1 an Stiefmütterchen 2“) und werden zum Schluss verhaftet.

Es war schön und unterhaltsam anzuschauen, wie hier die Darsteller beider Teams zusammen spielten und die vorgesehene Struktur (eigentlich gehört die Szene ja Clamotta…) einfach über den Haufen warfen. Wie sagte Keith Johnstone? Regeln sind dazu da, um sie zu brechen. Genau!

Kalkulierte Komik

Das Theatersport-Match endete übrigens unentschieden. Es war der dritte oder vierte „Kampf der Giganten“, den ich mir anschaute. Ich hatte also einige Vergleichsmöglichkeiten. Mein Fazit: Diese Veranstaltung war auch diesmal unterhaltsam, stellenweise sogar sehr unterhaltsam. Alle Darsteller hatten sichtlich Spaß auf der Bühne und wurden von Marco Seypelt am Keyboard jederzeit fantastisch unterstützt.

Doch in vielen Momenten sah ich ein Improvisationstheater, das zumindest für meinen Geschmack zu gefällig sein wollte, zu souverän an der Oberfläche klebte und auch ein wenig zu oft auf Klamauk und unspontane Gags setzte. Wenn ich zum fünften Mal eine Show sehe, in der ein und derselbe Spieler in einer Szene vom Schema „Armloser Erfinder“ (diesmal abgewandelt zur „Armlosen Mörderin“) ein und derselben Spielerin von hinten an die Brüste greift, kann ich das beim besten Willen nicht mehr witzig finden.

Ich finde es schade, wenn Improdarsteller zu sehr auf Nummer Sicher gehen, denn dann bleiben sie unter ihren Möglichkeiten. Der Mut zum Risiko lohnt sich. Nicht umsonst lacht das Publikum am herzhaftesten über Komik, die völlig ungeplant aus dem Moment heraus entsteht.