Theatersportspiele, aber richtig! – 5. Tannenbaum (Pyramide)

von Stephan Holzapfel:

Der „Tannenbaum“ beginnt mit einer Soloszene, ein Spieler von außen klatscht, die Szene friert ein, der zweite Spieler kommt in die Szene und eine völlig neue Geschichte beginnt. Irgendwann klatscht der dritte Spieler, die Szene friert ein, der dritte Spieler kommt hinzu und es beginnt die dritte Geschichte usw.

Sind alle Spieler auf der Bühne (z.B. 7), klatscht irgendeiner der Spieler und alle begeben sich in eine völlig neue Körperhaltung und die letzte  (hier die siebte) Geschichte wird weitergespielt, beendet wird sie durch den begründeten Abgang des siebten Spielers. Ist er abgegangen, befinden sich die Spieler in der sechsten Geschichte und spielen diese weiter, beendet wird sie durch den begründeten Abgang des sechsten Spielers, dann wird die fünfte Geschichte weiter gespielt usw. bis der erste Spieler allein auf der Bühne ist und seine Soloszene beendet.

Wichtig: es ist Zeit vergangen

Soll dieses Spiel nicht zur Gedächtnisübung verkommen, sondern eine dramatische Wirkung haben, muss zwischen den beiden Teilen der verschiedenen Geschichten Zeit vergangen sein. Die Situation hat sich zwischen den beiden Szenen einer Geschichte entscheidend verändert. Z.B. sehen wir im ersten Teil der Geschichte eine Trauung, im zweiten Teil erleben wir, wie nicht mehr die Ehepartner zusammenstehen, es hat sich jetzt ein anderes Paar gebildet. Klar, dass dieses neue Paar nicht in einen Smalltalk verwickelt ist, sondern sie sind jetzt das neue Liebespaar, das alte Paar hat sich getrennt. Die Szene hat sich auf dramatische Weise verändert.

Solche Zeitsprünge, die der Zuschauer im Kopf ergänzen muss, haben eine starke theatrale Wirkung. Natürlich müssen die Schauspieler dem Publikum (und sich selbst) so viele Informationen geben, dass die Geschichte verständlich ist, es muss und soll aber nicht alles erklärt und gezeigt werden.

Jede neue Szene beginnt mit der Körperhaltung, mit der die vorhergehende Szene beendet wurde. Um hier Abwechslung zu schaffen, ist es notwendig, dass die Spieler während der Szenen ihre Haltung verändern und zwar bisweilen recht deutlich verändern. Sonst reiht sich eine Rumstehszene an die nächste. Wichtig ist, dass die letzte Geschichte (die mit allen auf der Bühne) durch Klatschen unterbrochen wird und die Spieler sich dann in eine wirklich völlig veränderte Haltung begeben, bevor die Geschichte (mit Zeitsprung) weiter gespielt wird.

Zu viele Spieler schaffen Probleme

Je mehr Spieler auf der Bühne sind, desto eher spielt der neu in die Szene kommende Spieler einen Trainer oder Gruppenleiter oder ähnliches, der den anderen Anweisungen gibt („Jetzt heben alle die Arme und sagen Omm“). Das kann man schon machen, mehrere dieser Szenen wirken allerdings schnell statisch, und zumindest nach dem Zeitsprung muss sich die Dynamik zwischen Gruppenleiter und Gruppe verändert haben.

Oft haben die Spieler Probleme, sich zu erinnern, in welcher Geschichte sie sich befinden. Es empfiehlt sich, nicht zu viele Spieler zu beteiligen. Es hilft, wenn jeder Spieler sich besonders die Geschichte merkt, bei der er dazugekommen ist. So weiß zumindest immer einer Bescheid und kann die Situation retten.

Es kann die Wirkung erhöhen, wenn die Soloszene ausschließlich pantomimisch gespielt wird.

Zwackelmann

8 thoughts on “Theatersportspiele, aber richtig! – 5. Tannenbaum (Pyramide)”

  1. Meine Erfahrung ist, dass diese “Gruppen-Szenen” (Orchester, Volkshochschulkurs, Tanzgruppe, Yoga-Kurs etc.) anfangen, sobald mehr als vier Leute auf der Bühne sind. Gerne gibt es dann auch Banküberfälle, Demos (“Los, lass uns vor den Bullen abhauen!”), Rockband-Szenen, Parties oder Familienfeiern.

    Ein guter Tipp von Billa von den Gorillas dazu: Statisten spielen. Es ist kein Problem, wenn mehr als drei Leute auf der Bühne sind, aber nur drei aktiv die Szene gestalten. Die anderen können Statisten (Gäste im Restaurant etc.) oder auch einfach Gegenstände (Palme, Kaffeemaschine etc.) sein. Wichtig ist, dass man das den anderen Mitspielen irgendwie frühzeitig klar macht, dass man in dieser Szene nur “Passenger” ist.

  2. Dieses Improgame ist ja wohl das Spiel mit den meisten Namen, oder? Ich kenne es neben Tannenbaum und Pyramide auch als Diamant, Zwiebelchen WachsenSchrumpfen, Vor Und Zurück usw.
    Kennt irgendwer noch einen Namen?

  3. Claudia hat Recht, bei den Szenen mit vielen Spielern findet man sich meistens auf dem Fußballplatz oder in der Gruppentherapie. Das mit den Statisten ist eine gute Idee, funktioniert aber wohl nur, wenn das in der Gruppe besprochen wurde. Ich halte es ansonsten für wahrscheinlich, dass die “Statisten” irgendwie den Fokus auf sich ziehen wollen. Generell haben viele Spieler das Rampensau-Gen in sich und wollen sich in jede Szene einbringen. (Ist nicht böse gemeint, sondern einfach nur wahr ;-P )

  4. @Mc Coy: Da hast Du wohl Recht (Rampensau-Gen) 🙂 Allerdings finde ich, dass man als “gute” Gruppe (auch diese Weisheit wurde unlängst von Billa geäußert) mehr sein sollte, als eine Ansammlung von Einzelspielern, sondern wirklich versuchen sollte, etwas “gemeinsam” zu erschaffen – deshalb finde ich Impro ja so toll 🙂
    Denke allerdings auch, das es vorheriger Klärung innerhalb der Gruppe bedarf, dass auch Statistenrollen beim Tannenbaum dabei sind. Ansonsten wird das von den Mitspielern eventuell nicht verstanden und der Statist (unfreiwillig) mit in die Handlung einbezogen (was an sich ja okay ist, nur wenn dadurch Zerfaserung der Handlung droht, weil versucht wird, alle aktiv in die Handlung mit einzubeziehen, dann ist es doof).
    Improweisheit des Tages: *pathosan* Beim Impro sollte immer die Handlung im Mittelpunkt stehen, nicht die einzelnen Spieler. *pathosaus*

  5. Claudia hat absolut Recht: Spiel den Statisten im Hintergrund. Insofern ist dieses Spiel auch ein ganz gutes Training für Szenen mit mehr als 4 Spielern. Auf mehr als drei Akteure kann man sich ohnehin nur schwer konzentrieren als Zuschauer. Auf der Bühne potenzieren sich ja dann die Fokus-Probleme.
    Hab vor wenigen Tagen selbst in einer Szene zu sechst gespielt. Die sich einklatschende Kollegin spielt mich an, definiert die anderen als Statisten (Büro), und doch wuseln auf einmal alle wild herum, reden laut, um ihre Existenz auf der Bühne zu rechtfertigen.
    Interessant finde ich, dass JEDE Gruppe, die dieses Spiel zum ersten Mal spielt, in den typischen Gruppenleiter-Szenen landet.
    Oder “Willkommen in der Ausstellung, hier sehen Sie die Skulptur XY”, womit auf die eingefrorenen Figuren reagiert wird.
    Als Übungs-Spiel finde ich es gut, auf der Bühne hab ich’s nur selten gut gesehen. Wäre mal eine Herausforderung.

  6. @Dan: Genauso hatte ich mir das vorgestellt (so wie es bei Deiner Büroszene war)..
    Ich denke, wenn man das bei einer Probe einmal durchspielt mit den Statisten, dürfte es später in der Show klappen.
    @Claudia: Diese Weisheit nehme ich in meine Weisheitsliste auf und reihe sie ein neben “ernst nehmen” und zuhören” 😉

  7. Für mich eines der besten Improspiele überhaupt, weil es einen wirklich guten Einstieg in eine Show eröffnet:

    1. Ist es ein Storyspiel und etabliert, wenn man es als erstes Spiel am Abend spielt, damit Improtheater als “Geschichtenerzählen” und nicht wie z.b. “Freezetag” oder “gegenstände umdefinieren” Improtheater als primär “schnell” / “schrill” o.ä.

    2. Kommen viele Spieler auf die Bühne und werden mit dem Publikum warm.

    3. Ist die Prozedur an sich sowohl amüsant als auch schwierig (Zeitsprünge), was fürs Publikum sehenswert ist.

    Ich stimme der Statisten-Option auch zu. Nett ist es natürlich, wenn jeder in jeder Szene nicht VÖLLIG überflüssig ist, aber es reicht völlig, eine 2er oder 3er Szene mit statisten o.ä. zu haben!

    Weitere Tips von meiner Seite aus für dieses Spiel:

    a) Wann klatschen? Auf den Beat / das Promise: Wenn die zentrale Frage der Szene aufgeworfen wurde. Wenn es sowas wie eine zentrale Frage / ein Promise nicht gibt, dann taugt die Szene vermutlich auch nichts, in diesem Fall lieber eher klatschen damit es schneller wieder vorbei ist.
    b) Dementsprechend: 1. Hälfte (Aufbauen) zum etablieren von Promises nutzen, 2. Hälfte genau diese Promises auflösen oder erfüllen.
    c) (eine Option): In der Szene mit den meisten Spielern kann man versuchen, das etwas passiert, was alle in ihrer Körperlichkeit verändert. Beispielsweise in den obligatorischen Militär / Polizeiszenen einfach mal ein paar Leute erschießen. Das bringt neuen Input für die alten Szenen.

    Ich würde mich SEHR freuen, wenn mir jemand ein ähnlich gutes Spiel für den Start in eine Show nennen kann, bin nämlich am suchen!

  8. Vielleicht ein Domino-Reigen? Sind auch viele auf der Bühne (wenn auch hintereinander), man kann auch Zeitsprünge einbauen und “Promises”, die man später wieder aufgreift, um das ganze rund zu machen…

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