Songs improvisieren: Traum oder Alptraum?

von Heike Reissig, NRW:

In vielen Impro-Shows, bei denen die Darsteller von einem Musiker begleitet werden, erklingt irgendwann der Ruf: „Das klingt nach einem Lied!“ Diese Forderung, mal eben aus der Szene heraus ein Lied mit Melodie und Text zu improvisieren, stellt für die meisten Darsteller eine große Herausforderung dar und nicht wenige sind sogar felsenfest davon überzeugt, dass sie das überhaupt nicht können.  Manche Impro-Darsteller sind in dem Glauben aufgewachsen, völlig unmusikalisch zu sein und haben aus diesem Grund eine regelrechte Abneigung gegen das Singen entwickelt. Ein Workshop zum Thema „Improvisierte Songs“ kann helfen, diese Furcht zu überwinden.

Enno Kalisch
Enno Kalisch Foto: www.ennokalisch.de

Enno Kalisch ist einer derjenigen, die solche Workshops anbieten. Der ausgebildete Schauspieler und Musiktherapeut, der inzwischen in Bonn lebt, zählt nicht nur zu den renommiertesten Impro-Darstellern Deutschlands, sondern gibt auch seit vielen Jahren Kurse und Workshops für diverse Bereiche des Improtheaters, darunter auch der improvisierte Gesang.

Horror vorm Singen

Neulich hatte ich wieder einmal Gelegenheit, gemeinsam mit einigen anderen Impro-Darstellern und einem Impro-Musiker an einem Workshop mit Enno in Köln teilzunehmen. Die meisten von uns hatten schon Erfahrung im Improvisieren von Songs. Doch eine von uns betrat damit völliges Neuland. Für sie und zwei andere stellte die Teilnahme an dem Workshop eine große Überwindung dar, weil ihnen schon früh eingeredet worden war, nicht singen zu können. Unser Trainer stand also vor der Aufgabe, den Workshop auf die verschiedenen Erfahrungslevel der Teilnehmer abzustimmen und denjenigen, die „Horror vorm Singen“ hatten, zu helfen, ihre Angst zu überwinden und ihnen zu vermitteln, dass Singen sogar Spaß machen kann.

Zu Beginn des Workshops machten wir verschiedene Übungen, um unsere Körperwahrnehmung zu schulen, unser Gleichgewicht zu halten und bewusst zu atmen. Nach einer Weile gingen wir dazu über, auf spielerische Weise auch unsere Stimme dabei einzusetzen. Auch unser Rhythmusgefühl und unser Gehör wurden intensiv trainiert. Beim Improvisieren von Songs kommt es nicht nur auf das Singen an, sondern auch auf das Zuhören. So manchem Darsteller bereitet es Schwierigkeiten, beim Singen einen Ton zu finden, der zur Musik des Pianisten oder Gitarristen passt. Die Voraussetzung für das Finden des „richtigen“ Tons ist das Zuhören. Das Singen „falscher“ Töne hat seine Ursache oft darin, dass die Ohren noch nicht ausreichend geschult sind, um verschiedene Töne überhaupt erkennen und dann mit der eigenen Stimme wiedergeben zu können. Ein weiterer Faktor, der das Finden des „passenden“ Tons beeinflusst, ist Stress. Doch das Zuhören lässt sich glücklicherweise ebenso erlernen wie der Umgang mit Stress. Oft setzen wir uns beim Improvisieren ja selbst unter Erfolgsdruck, anstatt es locker und entspannt anzugehen.

Enno brachte uns bei, wie wir mit Stress umgehen und aus dem Moment heraus einen Song entwickeln können, ohne uns selbst dabei unter Druck zu setzen. Wir übten übrigens auch das Texten und erkannten dabei zugleich, dass ein perfekter Liedtext nicht das Entscheidende ist, ebenso wenig wie der perfekte Gesang. Das Wichtigste ist eigentlich, als Darsteller auf der Bühne in der jeweiligen Szene aus dem Moment heraus eine Art von improvisiertem Gesang zu finden, mit der man sich selbst wohl fühlt und sich dabei von den verschiedensten Inspirationen leiten zu lassen, wie absurd sie auch erscheinen mögen.

Bei diesem Workshop hatte ich persönlich den schönsten Moment, als Enno mich ermunterte, meinen spontanen Lachanfall in meinen improvisierten Gesang einzubauen. Ich glaube, ich hatte noch nie so viel Spaß beim Singen wie in diesem Augenblick!

One thought on “Songs improvisieren: Traum oder Alptraum?”

  1. Hallo,

    ich würde es selber so formulieren: sowohl in Text, Situation und Melodie und überhaupt: mit einfachen Mitteln können sehr intensive Ergebnisse erzielt werden, wobei die Mittel dann alles andere als beliebig sind. Aus Kleinschrittigkeit und spontanen Assoziationen werden so intensive und fokussierte Songs, die eine große Textdichte und vor allem situative Dichte haben können….(auch Poesie und Berührung, positiv wie aversiv, sanft oder grausam)egal ist der Text dabei nicht, wir bauen das, was wir beim Entwickeln erlegeben, nur in eine entstehende Form ein…das entstresst dann…
    Genau, die Inspirationen werden nicht gewertet, wie schön oder wie scheusslich man den eigenen Song findet, interessiert nicht, so lange man mit dem Geschehen verbunden bleibt..es ist weder geplant noch beliebig (zitat aus dem Jazz). Die Wirkung beim Zuschauer lassen…egal, ich schwadroniere, mir machts jedenfalls Spaß und besagte Gruppe habe ich an besagtem WS nicht nach Angst bewertet, sondern nach den Idee,, die genau diese Menschen in diesem Moment entwickelt haben…danke für das Vertrauen! Angst ist normal, Mut auch, Improvisieren auch.
    Enno

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