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Offener Brief an alle Berliner Theatersportspieler

von Stephan Holzapfel:

Liebe Berliner Theatersportler,

bitte nehmt mir diesen Brief nicht übel, er ist kritisch und auch provokativ, ja, aber ich möchte niemanden persönlich angreifen, sondern zur Diskussion anregen. Wer meine Sicht nicht teilt, soll mir bitte gerne widersprechen.

Viele von euch sind sehr gute Improspieler. Ihr könnt mit nichts auf die Bühne gehen und das Publikum durch eure Szenen faszinieren. Ihr könnt lustig und überraschend sein, Spannung erzeugen und lösen, kleine und große Dramen spontan auf die Bretter bringen.

Warum vertraut ihr euch so wenig? Warum vertraut ihr dem Improtheater so wenig?

Warum glaubt ihr, dass ihr Fanfaren, Sensationen, Preise, Wettkampf braucht, eine vom Sport geliehene Spannung? Ist das Improtheater an sich nicht interessant genug?

Natürlich dürft ihr so viel Theatersport spielen, wie ihr möchtet. Aber bitte beschwert euch dann nicht, wenn das Improtheater wieder mal nicht richtig ernst genommen wird: “Naja, ganz lustig, aber kein richtiges Theater.” Warum sollte jemand Impro für voll nehmen, wenn ihr es selber schon nicht tut? Dieses ganze Tamtam und Drumherum, dieses Aufwärmen, Abstimmen, Bepunkten, Lauter-und-länger-Klatschen – was da allein manchmal für Zeit drauf geht! Zudem wird häufig eine Atmosphäre erzeugt, die für sensible Gemüter schwer zu ertragen ist.

Klar, viele von euch spielen auch andere Impro-Formen. Nicht zu leugnen ist allerdings, dass Theatersport das Ding der Stunde ist in Berlin. Ein Turnier jagt das nächste, und warum? Weil ihr es veranstaltet. Weil ihr mitmacht. Weil ihr es so wollt. Je mehr Theatersport aber gespielt wird, desto mehr wird das Publikum Improtheater mit Theatersport gleichsetzen, Theatersport erwarten, wenn Impro veranstaltet wird. Und dann werden alle sagen: das Publikum will es doch so.

Vielleicht sollten wir nackt spielen!

Manche argumentieren, dass Impro durch Theatersport bekannter würde und das sei doch gut so. Dann sollten wir vielleicht alle nackt spielen. Da wären wir mit einem Schlag berühmt und berüchtigt, die Massen würden strömen. Und wenn Impro dadurch so richtig bekannt ist, ziehen wir uns wieder an und sagen, eigentlich spielt man das ja bekleidet.

Mag das Beispiel auch überspitzt sein – nackt spielen hat mit gegeneinander spielen gemeinsam, dass Impro durch etwas interessant gemacht werden soll, was mit Impro eigentlich nichts zu tun hat.

Denn Impro ist das Gegenteil von Konkurrenz, es ist eine sehr komplexe Form der Kooperation. Das ist doch aufregend! Warum vertretet ihr das nicht offensiv, warum versteckt ihr das hinter einem inszenierten Wettkampf? Theatersport wurde vor Jahrzehnten für Leute erfunden, die gerne zum Wrestling gehen, einem durchinszenierten pseudo-sportlichen Krawall. Ich habe starke Zweifel, dass das noch zeitgemäß ist.

Ist Theatersport zeitgemäß?

Impro liegt sicher im Zeitgeist – alles ist unsicher, alle müssen flexibel sein, man sucht den einmaligen Moment im Strom der Massenunterhaltung, Interaktivität ist angesagt. Theatersport ist sogar Impro mit “Gefällt mir”-Button. Aber – gibt es nicht auch eine große Sehnsucht nach Authentischem, nach Ehrlichkeit, nach weniger Inszenierung? Hat nicht z.B. die Piraten-Partei auch durch ihren Willen zur Transparenz gepunktet?

Offenheit hat immer eine starke Wirkung. Auf die Bühne gehen und sagen: “Wir haben nichts in der Hand, aber wir werden nun versuchen, etwas gemeinsam zu erschaffen. Mit dem, was in uns ist, mit dem, was zwischen uns passiert und mit dem, was Sie – das Publikum – uns vorschlagen.” Kaum ein Publikum wird sich dieser Haltung verschließen.

Doch der Theatersport glaubt das nicht, stattdessen wird eine Sensations-Wettkampf-Fassade aufgebaut, hinter der der Kern von Impro – Kooperation – verschwindet. Beim Theatersport verlangt man vom Publikum sogar, gemeinsame Szenen getrennt zu bewerten! Das ist doch crazy! Wir wissen doch alle, dass man Szenen manchmal am besten unterstützt, indem man sich zurückhält. Theatersport lässt das Publikum im Unklaren, was wirklich passiert und die Spieler oft genug auch. Denn dass aus gespielter Konkurrenz echte wird, das passiert immer wieder und oft unbemerkt.

Spielst du noch oder kämpfst du schon?

Ehrlich gesagt glaube ich zwar erst Mal nicht, dass echte Konkurrenz bei der anstehenden Berliner Improliga ein Problem werden wird und die Teams verbissen um den Titel des Berliner Impromeisters kämpfen werden. Ich habe auch Verständnis dafür, dass man nicht pauschal gleich alle Gruppen zum Turnier bittet, natürlich gibt es Unterschiede, so dass vielleicht nicht alle automatisch zusammenpassen. Allerdings verstehe ich auch gut, dass sich die anderen Gruppen ausgeschlossen fühlen, vor allem weil ja das erklärte Ziel die Vernetzung der Szene ist, was schwierig ist, wenn man einen exklusiven Club eröffnet.

Es wäre alles viel leichter, wenn es nicht Theatersport wäre. Jetzt spielt jeder gegen jeden, es gibt eine Tabelle, jede Gruppe macht alles mit oder gar nichts. Wie anders wäre es gewesen, wenn die Gruppen nicht “gegeneinander” sondern miteinander spielen würden. “Foxy Freestyle trifft Paternoster.” Wieso ist das schlechter als “gegen Paternoster”? Dann könntet ihr nämlich einfach mal eine dritte Gruppe einladen und gemeinsam spielen, die Profis lassen die Amateure gut aussehen und die Amateure lernen von den Profis. Oder auch mal umgekehrt. Herausforderungen kann man sich doch trotzdem stellen, aber warum müssen diese pseudoobjektiv bepunktet werden? Ist das denn so ein Mega-Spaß fürs Publikum, dass man dafür die ganzen Nebenwirkungen in Kauf nimmt?

Es werden Spieler ausgeschlossen

Jetzt ist die Rede von einem “Qualifikationsturnier”, von “Aufstieg” und “Abstieg”. Glaubt ihr im Ernst, dass da keine echte Konkurrenz aufkommen wird? Wer will schon in der zweiten Liga spielen, natürlich werden dann Gruppen gewinnen wollen! Alle werden auffällig häufig sagen, dass es nur um den Spaß geht, aber in den Proben wird gezielt Theatersport geübt werden (auch wenn man schon Komplexeres probte), man wird sich überlegen, womit man am besten ankommt, man wird den Schiedsrichter ungerecht finden und die Zuschauer parteiisch. Man wird die Sieger beneiden, vor allem wenn sie schon wieder gewonnen haben und man selbst noch nie. Am Anfang wird der Zauber des Neuen vieles überdecken, aber wenn immer die anderen bei dem coolen nächsthöheren Turnier mitmachen dürfen, dann werden vielleicht auch die gelassenen Spieler etwas unruhig werden.

“Nicht schön gespielt, aber gewonnen!” Ist das Berlins Impro-Zukunft? Bitte tut uns das nicht an! Bringt die Szene zusammen und nicht auseinander. Improspieler sind doch keine Übermenschen, gibt’s einen tollen Preis, wollen den auch Leute haben. Und wenn es nur 20% der Spieler sind, das reicht locker für eine vergiftete Atmosphäre.

Doch selbst wenn ab sofort alle Gruppen in der Liga mitmachen dürften und der Sieger zur Strafe geteert und gefedert würde, dann würden immer noch die ausgeschlossen, die gar kein Theatersport spielen wollen. Wäre ich der einzige – geschenkt. Aber ich bin nicht der einzige. Am Ende werden auch Spieler mitmachen, die nicht so ein gutes Gefühl haben, einfach weil es ein Mega-Event ist und man nicht dauernd abseits stehen möchte. Das kann es nicht sein, wirklich nicht.

Die Theatersportturniere sollen die Szene näher zusammenbringen, das mag sein, mindestens genauso wichtig scheint mir aber der PR-Aspekt zu sein. Was keine Schande ist. PR ist legitim und notwendig. Dass ihr dabei auf Theatersport verfallen seid ist vielleicht naheliegend. Das Naheliegende zu nehmen gilt ja als Improtugend. Vielleicht war es aber auch ein Spiel auf Sicherheit, was eher als Untugend gilt. Ihr habt sozusagen die Armrede gewählt und nicht die freie Szene. Darüber kann ich nicht abschließend urteilen, ich muss kein Geld mit Impro verdienen. Aber ein bisschen fantasielos isses schon, oder?

Wir sind Berlin, wir können mehr

Mensch, Leute, wir sind Berlin, die Hauptstadt, Deutschlands Kulturmekka! Wenn uns hier schon nichts Originelleres und Moderneres als Theatersportligen einfallen, um Impro bekannt zu machen und die Szene zu vernetzen, wem denn dann?

Übrigens Armrede versus freie Szene: Theatersport kann gutes Improtheater sein, dass er es häufig nicht ist, liegt auch daran, dass man beim Theatersport auch mit schlechtem Improtheater Erfolg haben kann. Ich fand es faszinierend und tragisch zugleich, dass die Spieler von Rocket Sugar Factory am 01.10. mit einer soliden, aber keinesfalls besonderen Armrede mehr 5-Punkte-Stimmen bekamen als mit ihren teilweise sehr virtuosen freien Szenen, (die allerdings auch sehr gut bewertet wurden). Wobei dieses Phänomen aufs Improtheater generell zutrifft.

Dass Theatersporterfinder Keith Johnstone den real existierenden Theatersport scheiße findet, ist wahrscheinlich bekannt. Ein Interviewer verglich Johnstone mal mit Frankenstein, der ein Monster erschaffen habe. „Ja“, meinte Johnstone, das Ding ist völlig außer Kontrolle.“

Wem ist hier eigentlich langweilig?

Manche entwickeln eine solche Begeisterung für Theatersportligen, dass ich das Gefühl habe, sie langweilen sich mit Impro schon ein bisschen. Vielleicht sind es ja eigentlich die Spieler, die den Extra-Kick durch den Wettkampf brauchen, gar nicht so die Zuschauer? Falls dem so ist, liebe Spieler, dann auf zu neuen Impro-Horizonten! Neue Formate, neue Experimente, neue Lehrer, neue Mitspieler. Stell euch Herausforderungen, probiert euch aus, schmeißt die Spiele weg, spielt freie Szenen, was auch immer. Nur sucht die Spannung im Spiel, nicht im Wettkampf.

Eingefleischte Theatersportler werde ich mit diesem Brief wohl kaum aufhalten können. Dass der Theatersport eine große Dynamik entfalten kann, sehe ich natürlich auch. Doch ihr solltet bedenken, dass euer Theatersport eigentlich nur spielen will. Er wollte nie mehr sein als eine große Gaudi. Wenn ihr ihn zu ernst nehmt und Ligen mit ihm veranstaltet, ihn in Spielsysteme quetscht, ihn mit Tabellen traktiert und mit wahren Siegern und echten Verlieren quält, dann überfordert ihr ihn.  Vielleicht wird er dann griesgrämig und verbissen und möglicherweise sogar bissig und – beißt am Ende sogar euch.

Denkt darüber nach.

Herzliche Grüße an alle

Stephan Holzapfel

 

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