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IMPRO 2013: Bollywood und der Palast der Windel

von macro
BERLIN – Am Samstag spielte Improv Comedy Mumbai zusammen mit dem Festivalensemble im fast ausverkauften English Theatre ihre zweite Improshow während der Impro 2013 im Stil eines Bollywood-Films.

Kaneez Surka und Mukul Chadda begannen mit Publikumswarmup und alle tanzten sofort ein paar kleine Bollywood-Bewegungen mit. Der Großteil des Publikums hatte mindestens schon einen Bollywoodfilm gesehen. Es wurden genretypische Elemente eingeholt, Handlungsschwerpunkte festgelegt (Palast und Arbeitslosigkeit) und der ungewöhnliche Titel des abendfüllenden Stücks gefunden: Die gestohlene Windel.

Die insgesamt 11 Spieler verteilten sich sehr geschickt in Gruppen mit unterschiedlichen Aufgaben. In der ersten Szene wurde sofort der Hauptkonflikt angelegt: Mike Fly, Mukul Chadda, Helena Zetterman und der Held der Geschichte Dhruv Lohumi etablierten die “Guten”. Daylynn D’Souza als böser Bruder von Mike Fly beansprucht den Palast und hatte eine herrlich trottelige Schlägertruppe mit Stephen Sim, Felipe Ortiz und Matt Baram um sich. Durch die klaren Hierarchien auch innerhalb die Kleingruppen funktionierten die Szenen mit so vielen Spielern gleichzeitig auf dem großzügigen Bühnenraum sehr gut und sorgten für ein spannend dynamisches Bühnenbild.

Gesangs- und Tanzeinlagen

Unverzichtbar in jedem Bollywoodfilm sind die Gesangs- und Tanzeinlagen. In Dreiecksformation wird dabei den Bewegungen der in Blickrichtung führenden Position gefolgt. Diese Grundformation wird nach einer Strophe komplett aufgelöst, bei weiterspielender Musik verteilt sich das Ensemble im Raum und zeigt kurz eine Szene zum Songtext, um dann wieder in die Tanz-Dreiecksformation zurückzufinden. Am Ende jedes Songs wird durch die Gruppe eine möglichst dynamisch aussehende starre Endposition gesucht, typischerweise mit ausgestreckten Armen Richtung Mitte.

Filmische Kamerafahrtszenen

Eine weitere Zutat als Stilelement waren die an filmische Kamerafahrten angelehnten Szenen, in der die komplette Crew auf der Bühne agiert und trotzdem der Focus ganz klar auf einem Handlungselement liegt. Dazu legte Musiker Nigel Rajaratnam einen indischen Beat unter die Szenen und alle orientierten sich an diesem Rhythmus. Gerne werden Tücher und Stoffe herumgewirbelt, es entstehen monumentale Bilderfluten. Gerade in dieser Art Bühnenchoreographie wurden so zauberhafte Bühnenausdrucksmittel gefunden wie eine sich rückwärts am rennenden Protagonisten vorbeiziehende Landschaft aus Bäumen, Häusern, Autos und Spaziergängern. Diese unglaubliche Spielfreude bei den Akteuren schwappte über, selbst der Musiker Nigel sprang auf und mischte sich unter die Szenen, was Stephen Sim für einen Ausflug ans Keyboard nutzte und dort begeistert den Musiker mimte. Beim Stichwort Spielfreude sei hier die in diversen Passenger-Rollen sehr aufmerksam und lustig agiernde Naomi Snieckus herausgestellt.

Durch die Luft schwebende Tücher

Inhaltlicher Hauptpunkt ist natürlich die Liebe, die zuvor viele Hindernisse überwinden muss. Die bahnt sich zwischen Kaneez als traditioneller indischer Tänzerin und dem nach der Ermordung seiner Eltern als Taschendieb arbeitenden Dhruv an. Szenen voller Pathos mit vom Ensemble urkomisch physisch dargestellten wehendem Wind und sich durch die Luft schwebende Tücher lassen hier die Emotionen hochkochen. Das wird in gesungener und getanzter Form von den beiden Liebenden noch weiter gesteigert. Der Handlungsbogen ist zwar nicht immer ganz schlüssig, in diesem Genre zählt aber mehr die Ausgestaltung des Weges als eine gradlinige Zielerreichung beim Erzählen. Die Freude beim Spiel ist hier einfach wichtiger. Die etwas sperrige Titelwahl mit der Windel wird trotzdem tapfer in das Geschehen eingewoben und verhilft am Ende dem Guten zum Sieg. Darüber hinaus wird die Windel zu einer Reihe von lustigen Ideen benutzt.

Nachdem Kaneez – um ihren kleinen Bruder zu beschützen – ihren Geliebten verrät, beginnt der Actionteil mit stark übertriebenen Kampfszenen, einem weiteren Merkmal Bollywoods. Felipe und Dhruv zeigen ihre akrobatischen Fähigkeiten radschlagend und in einer Art Capoeira-Stil kämpfend. Der Einsatz der Zeitlupe wie auch von Flugakrobatik mittels unterstützender Mitspieler sorgen hier für Slapstick-Einlagen.

Das Liebespaar findet mit einem den Kuß durch Tücher verdeckendem Schlußbild zusammen. Frenetischer Applause des Publikums für diese ganz eigene Art dieser epischen Bühnenerzählweise folgt.

Überschäumende Spielfreude

Die letzte Szene ist dann traditionell die Hochzeit des Paares. Für dieses ausgelassene Fest wird das Publikum auf die Bühne geholt und eine gemeinsame Tanznummer beendet diesen von überschäumender Spielfreude ansteckenden Abend. Diese ganz andere Art Improtheater erleben zu dürfen ist ein wundervolles Geschenk, ganz herzlichen Dank dafür an die Spieler und Musiker, die Gorillas und die Festivalorganisation – soviel berechtigter Pathos muss hier erlaubt sein.

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