Impro 2019 – Meta Stealing

von Sören Boller:

BERLIN – Am Abend des 21.03. kam im Rahmen der IMPRO 2019 eine gefühlt überwiegende Mehrheit aus Improspieler*innen als Gäste ins Ratibor Theater um sich das von Maja Dekleva entwickelte Format „Meta Impro“ anzuschauen. In dem Format wird über Improvisationstheater improvisiert, aber keine szenischen Geschichten gespielt. Das seit 2014 gespielte Format hat sich seitdem kaum bis gar nicht geändert, so dass sich ein Bericht über Aufbau und Verfahren des Formates mit Verweis auf die Jahre 2014 und 2016 erübrigt. In diesem Jahr standen neben Maja Dekleva Lapajne (Slowenien), Felipe Ortiz (Kolumbien) und Rama Nicholas (Australien) auf der Bühne und an den Mikros.

Meta Magie

IMPRO 2018: v.l. Maja Dekleva Lapajne, Rama Nicholas, Felipe Ortiz / Foto: S. Boller

Die spezielle „Magie“ von Meta Impro entsteht auf zwei unterschiedlichen Ebenen im Rahmen des Abends: Einerseits durch die persönlichen Offenbarungen der Spielenden, so dass das Publikum das Gefühl hat, diese wirklich kennenzulernen und andererseits dadurch, dass der mindestens 80%-Improspieler*innen-Anteil im Publikum sehr gut versteht, wovon die da vorne so reden, wenn die große Freiheit der Improvisation und der Aufbruch ins Unbekannte beschrieben wird. Insbesondere deshalb löste die folgende Thematik stärkere Irritationen bei mir aus, dem nun an dieser Stelle der Schwerpunkt gewidmet sein soll.

Stehlen und Kopieren

Bei allen drei Interviews wurde die Frage gestellt, was es sei, dass sie jeweils am Improtheater nerve. Bei allen drei kam das Thema „Format Stealing“ und „Kopieren“ auf. Während bei Felipe zu Beginn Menschen im Fokus standen, die die Kunst der Improvisation an sich nicht ernst nehmen indem sie bspw. nach einem ersten Workshop sofort selbst anfangen zu unterrichten, steigerten die drei sich über die Interviews in eine Art des Impro-Blamings die mir trotz des wichtigen Themas sehr missfiel. Es machte den Anschein, dass die drei sich dazu erhoben, in ihrem künstlerischem Dasein noch nie eine Kleinigkeit kopiert zu haben, aber durchgehend und dauerhaft von Impro-Piraten bestohlen worden zu sein. Den Höhepunkt erreichte dieses sich echauffieren als Rama Nicholas sich berufen fühlte dem Publikum erklären zu müssen, dass diese Diebe nicht zwangsläufig immer auch schlechte Menschen an sich seien.

Gerade in Anbetracht des anwesenden Publikums wirkte dieses Ablassen des grundsätzlich sicherlich berechtigten Frustes schon fast wie eine Drohung an die Impro-Gemeinde. Im gleichen Moment entstand der Eindruck, dass hier unreflektiert aus einem Impro-Elfenbeinturm¹ eine Ansprache an das Fußvolk gehalten wird, um dieses auf Abstand zu halten, was im Sinne des Formates befremdlich wirkte.

Kann eine Kunstform ohne Kopieren auskommen?

Es gilt zu Differenzieren und zu reflektieren. Selbstverständlich muss an dieser Stelle gesagt werden, dass das ungefragte Kopieren, Vervielfältigen und evtl. sogar Monetarisieren einerseits reale Verletzungen mit riesigem Frustrationspotenzial hervorrufen kann. In diesem Spannungsverhältnis steht auf der einen Seite ganz klar: Das Kopieren gesamter Formate, kompletter Workshopkonzepte etc. ohne nachzufragen – mit oder ohne Absicht sich daran auf irgendeine Weise zu bereichern – ist dreist und respektlos denjenigen Künstler*innen gegenüber, die diese entwickelt haben. Auf der anderen Seite steht die Frage, wo die Grenze zwischen einer Inspiration und einem Plagiat denn verläuft und wer darüber entscheidet.

Kann denn eine Kunstform ohne Kopieren auskommen? Ist das nicht vielmehr eine Hommage an das Original? Oder steckt da die Angst, dass eine Kopie womöglich besser sein könnte und die eigene privilegierte Position ins Wanken bringt? Was ist mit einzelnen Übungen aus einem Workshop? Hat Keith Johnstone sich wirklich alles selbst ausgedacht? Welche Übungen gelten als frei und welche nicht? Sollte ich bei jeder Show die Namen aller meiner Lehrer*innen nennen, von denen ich sicherlich nicht nur Inspirationen mitgenommen habe, sondern auch Elemente mehr oder weniger wissentlich kopiert? Sollte ich eine Gruppe, die ein Krimi improvisiert hat, um Erlaubnis bitten, ebenfalls ein Krimi-Format entwickeln zu dürfen? Diese schwierig zu beantwortenden Fragen sind sicherlich in der Impro-Szene zu diskutieren.

Redet miteinander!

Gleichzeitig nehme ich das Plädoyer ernst und möchte es an dieser Stelle auch nochmal bestärken: Redet miteinander! Das hilft Missverständnisse und letztlich persönliche Verletzungen zu vermeiden und Grenzen des machbaren individuell und respektvoll zu verhandeln. Durch diese für mich aufgeworfenen Fragen schon ein erfolgreicher Impro-Abend, aus dem die Gäste und vielleicht auch die Spielenden mit der Idee eines sensibleren Umgang mit dem geistigem Eigentum anderer herausgehen.


Fußnote:
¹ Einerseits ist mir sehr wohl bewusst, dass Improvisationskünstler*innen an sich keine privilegierte Gruppe darstellen in Bezug auf gesellschaftliches Ansehen, Einkommen, soziale Absicherung etc. Es ist auch offensichtlich, dass das Dasein als professionelle Improvisateure mit vielen persönlichen Zugeständnissen und Einschränkungen verbunden ist, die manch andere*r nicht bereit ist einzugehen. Andererseits sollte gleichwohl zu bemerken sein, dass die Möglichkeiten der Impro-Elite Europas sich zu vernetzen, mit brillanten Kolleg*innen auszutauschen, Netzwerke zu bilden, die sowohl stärkend als auch ausschließend wirken, von eben diesem „Fußvolk“ durch Bewunderung, Bereitstellung der finanziellen Mittel und Multiplikation und Heroisierung – auch durch kopieren – überhaupt erst ermöglicht wird.

Die Redaktion

2 thoughts on “Impro 2019 – Meta Stealing”

  1. Lieber Sören, vielen Dank für diesen Artikel. Ich teile Deinen Eindruck zum Abend komplett und ich hatte im Anschluss daran die gleichen Gedanken. Deshalb: danke auch für Deine Unumwundenheit in der Berichterstattung. Auch wenn ich gerade Filipe seine Ehrlichkeit, als er sagte, es “suckt” (oder ihn anpisst – “it pisses me off” – ich weiß das genaue Wording nicht mehr), dass es in seiner Heimatstadt mittlerweile zwischen 40 und 60 Amateur-Improgruppen gibt (vgl. Situation in Berlin…), hoch anrechne. Endlich hat jemand das ausgesprochen, was ich eh schon vermutet habe – Stichwort “Elfenbeinturm”. Ich kann auch die Seite der drei verstehen; als Profis und Künstler vermute ich, dass sie ihre Kunstform vor Stümpern und Dilletantismus schützen möchten. Aber: Geht das? Ist nicht auch das ein Weg, die Form weiter zu entwickeln, neu auszurichten usw.? Kann man eine Kunstform überhaupt in einem bestimmten Stadium “konservieren” und ist das wünschenswert? Gibt es “Standards”, braucht es Standards oder verhindert man damit eine kreative Weiterentwicklung der Form? Ich finde diese Fragen sehr schwierig zu beantworten, da jede Festlegung in Richtung Standards auch ein Weg in Richtung “Dogmatismus” ist, und ich denke, mit Dogmatismus ist niemandem geholfen, am wenigsten der Kunstform selbst – denn dann wird sie zur Religion und verliert ihre Freiheit.

    Das geht in die Richtung Deiner Frage, ab wann ein Format kopiert oder “nur” inspiriert davon ist. Mit den Improbanden haben wir lange Zeit das Format “Geheime Bekenntnisse” gespielt, das auf dem Format “Confessions” der britischen Gruppe “Maydays” basiert, und wer weiß, wovon sie sich haben inspirieren lassen, denn im Grunde handelt es sich lediglich um eine Art ausgeweitetes/ausgebreitetes Zettelspiel. Und im Laufe der Zeit haben wir so viele kleine Sachen an dem Format verändert (teils bewusst, teils ist es einfach so passiert), dass das Original-Format zwar noch erkennbar war, aber ich denke, wir doch etwas ganz Eigenes daraus gemacht haben (bei einem Festival in Schweden hat ein Kollege sogar mal zu uns gesagt, dass ihm unsere Variante des Formats besser gefalle, als die der Maydays).

    Wenn ich in einem Kurs oder Workshop eine Übung benutze, von der ich weiß, von dem sie stammt – oder zumindest, von wem ich sie habe, denn ich kann nicht wissen, ob die Person sie sich ausgedacht oder auch woanders her hat – nenne ich immer den Namen des Originators, denn ich finde es wichtig, die “Credits” für eine Arbeit zu geben und sich nicht mit fremden Federn zu schmücken. Ich selbst kann es nämlich auch überhaupt nicht leiden, wenn ich “kopiert” werde, und sei’s nur, dass jemand meine Geschichten nachplappert oder Argumente in Diskussionen benutzt, die ich vorher benutzt habe und als “meine” betrachte. Deshalb kann ich die Empfindlichkeit der drei Künstler an diesem Abend in diesem Bereich sehr gut verstehen.

    Dennoch hat der Abend auch bei mir keinen schönen Beigeschmack hinterlassen. Wie das eben manchmal so ist, mit der Ehrlichkeit…

  2. Lieber Sören,
    sehr spannend dein Artikel, denn das Recht am eigenen Format, am eigenen Workshop, an eigenen entwickelten Übungen etc. im Improvisationstheater treibt mich schon sehr lange um. Bei der ITI-Conference in Würzburg 2013 hatten wir zu diesem Thema eine Gesprächsrunde, zu der wir auch einen Rechtsanwalt eingeladen hatten, der mit uns sehr offen die rechtliche und ideelle Seite disktutiert hat.

    Mich interessiert in diesem Zusammenhang der “Code of Conduct”, auf den wir Improvisierenden uns verständigen. Was erwarten wir von unseren Kolleg*innen, wenn diese unsere Arbeit weiter verwenden?
    Ich verstehe es, wenn Impro-Neulinge, die einfach ein nettes Hobby ausüben, ohne darüber nachzudenken, diese Übungen irgendwo weiter verwenden. Schließlich wurden sie (wahrscheinlich) nie darauf aufmerksam gemacht, was hinter den Übungen/Spielen/ Strukturen und Formaten steckt. Deshalb ist es m.E. wichtig, sich über den Hintergrund und die Erwartungen schon ganz früh auszutauschen. Übungen kommen nicht aus dem Nichts und ein grundlegendes Wissen über Hintergründe und Entwicklungen sollte deshalb aus meiner Sicht unbedingt mitverwmittelt werden.

    Ich glaube, es liegt bei uns, ein informelles Recht zu schaffen. Was gehört zum guten Ton?
    Dafür hat der Abend anscheinend schon Großes geleistet (ohne dass ich ihn selbst gesehen habe).

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