Impro 2019 – Community und die Wahrheit im Scheitern

von Thomas Jäkel:

BERLIN – Das English Theatre Berlin war wieder einmal Aufführungsort für das Format Community von Maja Dekleva Lapanje. Und lese ich meinen Artikel aus dem letzten Jahr, lässt sich zur Struktur des Formates nicht mehr oder weniger sagen. Jedoch passierte am Montag (18.03.2019) Abend im English Theatre etwas besonderes. Es wurde eine Frage gestellt und die Gruppe der PerformerInnen zerfiel über deren Beantwortung vor den Augen des Publikums. Die Stimmung fror ein und es entfaltete sich ein Moment, der das Spielerische des Theaters verließ. Wie aufregend!

Doch von Anfang an: Das Format lebt von den Fragen der PerformerInnen. Sie stellen diese über ein Mikrofon an einzelne MitspielerInnen, an mehrere oder die gesamte Gruppe. Die Befragten bewegen sich dann auf die Bühne und geben performativ eine Antwort. Da die Zuschauenden ebenfalls über mögliche Antwort auf die Fragen nachdenken, entsteht eine ungewöhnliche Verbindung und ein sehr persönliches, aber auch politisches Format.

Improvisieren am Schmerzpunkt

Our Lives: Community, Foto: Matthias Flurer
Our Lives: Community 22.03.2018, Foto: Matthias Fluhrer

Natürlich ist es nicht ungefährlich, wenn man auf offener Bühne teils sehr private Fragen stellt. Über die Erarbeitung des Formats haben sich die SpielerInnen offensichtlich Techniken zugelegt, um Persönliches theatralisch verfremdet auf die Bühne zu bringen. Doch was zum Schmerzpunkt hinabstieß, war nicht die Frage, sondern deren Nicht-Beantwortung.

Was denken die Männer über das #MeToo-Movement?” Eine aktuelle und höchst politische Frage, die somit auch das Publikum mit befragte. Statt aber den Männern zum Antworten die Bühne zu überlassen, entwickelte sich sofort ein Spiel. Die Frauen wiesen den Männer unter gespieltem Zwang Positionen auf der Bühne zu und wollten nun ihre Standpunkte wissen. Die vier begannen unklar, durcheinander und dann auch noch in ihren Muttersprachen zu antworten und sagten nichts oder nur unverständlichen Absurditäten. Die Spannung zwischen den PerformerInnen wurde real. Die Stimmung fror ein und auch das Publikum wurde still. Offensichtlich konnten die SpielerInnen mit dieser Situation nicht umgehen. Die “Szene” verlor jede Leichtigkeit und scheiterte.

Dieses Scheitern, die Unfähigkeit mit den ausweichenden Antworten spielerisch umzugehen, war aber zugleich realer gesellschaftlicher Ernst. In diesem Moment wurde die Bühne zu dem Spiegel der gesellschaftlichen Probleme, den man sich von ihr wünscht. Diese blanke Unfähigkeit dieser Kontroverse zu verhandeln, hatte solch tiefe Wahrheit.

Man sah deutlich, wie unwohl sich die SpielerInnen in diesem Moment fühlten. Es wurde eine neue Frage gestellt und weitergespielt. Jedoch war ab da der Abend beschädigt. Die Community war beschädigt.

Scheitern und dann?

Wie soll man aber als ImprovisiererIn mit einer zu persönlichen Situation umgehen? Wer aktiv Impro spielt, stellt sich vielleicht ab und an die Frage: Was kann ich tun, wenn mich auf der Bühne etwas so persönlich trifft, dass ich damit nicht zurecht komme? Niemand kann verlangen, dass man auf der Bühne einen Seelenstriptease hinlegt. Es ist Theater und nicht Therapie. Aber die #MeToo-Debatte ist gesellschaftliche Realität und gehört zum Verhandeln auf die Bühne.

Als Improvisierende sind wir verantwortlich für das, was auf der Bühne passiert. Sicher nur zu einem Teil, aber wir tragen die Mitautorenschaft. Daher ist es unabdingbar, dass wir als Menschen und Bürger auf der Bühne stehen und das auch behaupten. Es braucht, denke ich, ein Bewusstsein dafür, dass wir aus solchen Situationen heraustreten und dazu Stellung nehmen können. Je ehrlicher und persönlicher wir sind, desto mehr bedarf es einer Strategie, wie wir mit Dingen umgehen, deren bloße Darstellung wir nicht verantworten wollen.

An diesem Abend hätte ich mir gewünscht, dass man nicht einfach weiter macht. Lieber hätte ich gesehen, wie die SpielerInnen dieses Zerwürfnis über die Antwort aufgreifen, offen legen, dazu weiter Fragen stellen und damit improvisieren. Denn hier waren wir alle, SpielerInnen wie ZuschauerInnen für einen Moment geschockt. Und das im besten Sinne. Nicht durch Ekel oder einen Tabubruch um des Schocks willen, sondern dadurch, dass ein unterhaltsamer Abend plötzlich relevant wird und man sich selbst fragen muss: “Wie stehe ich dazu?”. Das fühlte sich an wie großes Theater – davon will ich mehr!

Thomas Jäkel
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