Naked Stage Festival – I Am an Envelope

LJUBLJANA – Unser Redakteur Thomas Jäkel ist in die Slowenische Hauptstadt gereist und berichtet dort vom 14. internationalen Festival “Naked Stage” (Goli Oder). Am Mittwoch den 21. November startete das Festival mit der Show “I Am an Envelope” unter der Leitung von Matthieu Loos von der Combats Absurdes aus Lyon.

Naked Stage Festival – I Am an Envelope
Cast der Show: v.l. Lee White, Michaela Puchalková, Ladislav Karda, Vid Sodnik, Urša Strehar, Alenka Marinič, Vanda Gabrielova, Julie Doyelle, Foto: Naked Stage Festival

Das Festival ist ebenfalls ein Teil des “Our Lives” Projektes, das im März 28 ImprovisiererInnen aus ganz Europa in Berlin zusammengebracht hatte. Hier in Ljubljana sind bei weitem nicht alle Europäischen Länder vertreten, dennoch drehte sich das Konzept von Matthieu Loos um die kulturelle und soziale Vielfalt. Was trennt uns und was verbindet uns in Europa?

Frage, Licht und Los

Er wählte die SpielerInnen aus dem zehnköpfigen Cast per Fragen aus: Wer kommt aus einem reichen Land? Wer schämt sich für seine Regierung? Wer ist in einem Land aufgewachsen, das in dessen Lebenszeit den Namen geändert hat? Die PerformerInnen, auf welche die Fragen zutrafen, gingen auf die Bühne. Dort wurden sie von Matthieu Loos in bestimmte vom Licht definierte Flächen positioniert und die Szenen begannen. Die SpielerInnen waren frei zu spielen, was sie wollten. So entstanden längere und kürzere Szenen, mal mit allen, mal mit wenigen und sogar ein Solo war darunter. Thematisch waren manche Szenen inhaltlich näher an der Vorgabe und manche schienen weit weg von der Frage zu sein. Wichtig für Matthieu Loos war, dass sich die SpielerInnen Zeit nehmen, um die Szenen zu entwickeln.

Der Rahmen verändert das Bild

ImprospielerInnen stehen immer mit ihrem vollen Dasein auf der Bühne. Alles was sie schöpfen, entsteht aus ihren Erfahrungen, ihrer Sozialisation und aus ihren Talenten. Wie wir das aber lesen, was die KünstlerInnen auf der Bühne erschaffen, ist vom Kontext abhängig. Soweit, so einfach.

Im improvisierten Theater entsteht dieser Kontext bereits beim Erfragen der Vorgaben. Es macht einen Unterschied, ob man Julie Doyelle und Lee White eine Szene über ein Pärchen spielen sieht, das sich zum Frühstück nicht entscheiden möchte ob es nur Eier oder Speck oder alles zusammen mit Kokusnussmilch haben möchte, wenn die Fragen unterschiedlich lauten. Die Anfangsfrage für die Szenen lautete: Wer kommt aus einem reichen Land? Die gleiche Szene hätte aber auch unter den Vorzeichen: “Der Traum armer Leute” gespielt werden können und hätte damit eine völlig andere Bedeutung bekommen. In einem Rahmen ist es das Klischee wohlhabender Dekadenz, im anderen Rahmen der Wunsch nach einem sorgenfreien Leben. Die Frage nach den Vorgaben verändert immens den Blick der Zuschauenden auf die Szene. Das wurde an diesem Abend deutlich.

Julie Doyelle und Lee White als die Reichen, Foto: T. Jäkel

Aber als klar wurde, dass die Fragen nach der Verbindung zwischen Herkunft, persönlichen Erleben und dem Dargestellten eine interessante Spannung aufbaut, blieb man in anderen Szene unbefriedigt zurück. Auf die Fragen: “Wer meint aus einem “westlichen” und wer aus einem “östlichen” Land zu kommen?” antworteten jeweils Michaela Puchalková und Vanda Gabrielova mit Ja. Beide leben aber in Tschechien. Warum beide unterschiedlich antworteten, lässt sich aus der gespielten Mutter-Tochter-Szene als Generationenunterschied interpretieren. Jedoch hätte ich gerne mehr zu den persönlichen Gründen für diese gegensätzlichen Antworten erfahren. Vielleicht wäre hier ein kurzes Gespräch gut. Auch warum manche SpielerInnen erst nach einigem Zögern auf die Bühne kamen, da sie scheinbar nicht zu 100% mit Ja oder Nein antworten konnten.

Michaela Puchalková und Vanda Gabrielova als Mutter und Tochter, Foto: Naked Stage Festival

Ja, wir sind alle Umschläge (Envelopes), aber offenbar können wir uns nicht so einfach öffnen und das Innere herauskehren. Ich wünsche mir sehr, dass im improvisierten Theater mehr die kulturellen Aspekte hinterfragt werden. Die Menschen auf der Bühne schöpfen immer aus ihren Erfahrungen. Es wäre eine immense Bereicherung, wenn sich diese Kunstschaffenden auch den Grenzen ihrer Erfahrungen und der weißen Flecken ihres Wissens bewusst wären. Was ist also in diesem Umschlag und was liegt außerhalb?

Thomas Jäkel
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