Inbal Lori im Interview über politisches Impro zwischen Klischee und kritischem Denken

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BERLIN – Mitte August trafen sich in den Prinzessinengärten Teodora Tzankova und Inbal Lorie zum Interview. Wir veröffentlichen das Transkript hier auf Impro-News ungekürzt in der Übersetzung von Teodora Tzankova. Als Beweggrund für das Gespräch gab sie an:

Foto: Teodora Tzankova
Teodora Tzankova

Weil Inbal eins meiner Vorbilder ist, denn sie ist eine leidenschaftliche, außergewöhnlich talentierte, hoch energetische Schauspielerin, die das, was sie tut, liebt und dieses virtuos macht. Viele der internationalen Communitiys lieben Inbal und vielleicht sind sie, genauso wie ich, an ihren Gedanken und Arbeitsethik interessiert. Mehr noch. Inbal schafft es immer, mich mit ihrem Mut zum Staunen zu bringen – zum Beispiel mit ihrer Show im Ratibor-Theater am 15. November „Playing with the enemy“ und dem „Playing politics“-Workshop im selben Monat. Und das hat mich endgültig überzeugt, ich muss mit dieser Frau sprechen


Inbal trank ein alkoholfreies Bier. Sie dachte, dass es super schmeckt!

Inbal Lori

Teodora: So Inbal…

Inbal: Ja… anwesend.

T: Hi…

I: Hi…

T: Lass uns nach dem Interview smalltalken…

I: Oh… ok…

T: Wie viel Jahre machst du bereits dieses Impro-Ding?

I: Seit 2001

T: Seit langer Zeit also…

I: Muss ich schon aufhören?

T: Nein, nein, du bist schon ganz okay, denke ich …

I: Danke

T: Du begannst in ….?

I: Tel Aviv

T: Und du hast es wie gelernt?

I: Wir lernten es allein, so was wie aus dem Keith Johnston-Buch … Internet war nicht SO erreichbar in diesen Zeiten und wir waren so was wie isoliert im Mittleren Osten.

T: Klingt schrecklich…

I: Es hatte seine guten Seiten

T: Echt?

I: Ja, es war eine Truppe aus Autodidakten, wir lehrten einander die Sachen, die wir wussten und ich denke, gerade das machte uns sogar besser.

T: Wenn du meinst…

I: Das tue ich.

T: Aber zurück zu dieser Zeit, es war nicht dein Hauptberuf oder?

I: Nein. Damals arbeitete ich viel als Schauspielerin, Autorin und Synchronsprecherin. Impro machte ich nur ab und zu.

T: Also was brachte dich dazu zu denken, dies könnte dein Hauptberuf werden?

I: …die Umstände, vermute ich…

T: Was meinst du damit?

I: Nach vielen Jahren Improschauspiel hatte ich endlich den Mut zu denken, ich könnte schließlich auch Improschauspiel lehren und ich annoncierte einen Kurs und er füllte sich innerhalb von 2 Tagen und dann erwies sich das als der absolute Spaßfaktor.

T: Dachtest du, dies würde dir keinen Spaß machen?

I: Ich konnte nicht ahnen, dass ich und die Kursteilnehmer den Kurs so sehr genießen werden.

T: Bist du sicher, dass die Kursteilnehmer das Ganze genossen haben?

I: Sie kamen wieder und wieder.

T: Verstehe…

I: Ich begann dazu an internationalen Festivals teilzunehmen und das Feedback war überwältigend und der ganze internationale Einfluss machte mich besser. Dann entschloss ich mich, mir frei zu nehmen und 7 Monate lang eine Weltreise zu machen. Nur diese 7 Monate füllten sich so sehr mit Improsachen, europaweit, und ich hatte so viel Spaß, das ich einfach dachte – warum …

T: warum mache ich es nicht zu meinem Hauptberuf?

I: Genau.

T: Interessant.

I: Meinst du?

T: Hattest du einen anderen Traumberuf außer dem der Schauspielerin?

I: nein… Ich bin Schauspielerin seit sehr jungen Jahren. Das Größte für mich war und ist, auf der Bühne zu sein. Für mich stellte sich nie die Frage „Will ich Schauspielerin sein?“, die Frage war eher was für eine und wo.

T: Lass uns über dein aktuelles Improleben sprechen

I: Ja. Nur zu.

T: Was sagst du über Impro und Klische?

I: Wir müssen schnell und im Moment Dinge auf der Bühne kreieren, daher sind Klisches ein leicht zu bedienendes und nützliches Instrument, mit dem man spielen kann.

T: Ja, allerdings vermeiden Improspieler politische Themen auf der Bühne.

I: Und das ist ein bisschen peinlich meiner Meinung nach

T: Ist das der Grund, weswegen du diesen “Playing politics”-Workshop im November gibst?

I: Das stimmt.

T: Warum?

I: Ich denke, wir leben in verwirrenden Zeiten, in denen sehr schwer zu unterscheiden ist, was richtig und was falsch ist, was respektvoll und was nicht respektvoll ist und was du auf der Bühne machen und was nicht machen darfst.

T: Erzähl etwas mehr….

I: Ich kann verstehen, dass Improschauspieler solche Sachen auf der Bühne versuchen zu vermeiden. Mehr noch. Es gibt Orte, an denen bestimmte Limits definiert wurden, was auf der Impro-Bühne erlaubt und nicht erlaubt ist.

T: du meinst so was Ähnliches wie Zensur?

I: Irgendwie fühlt es sich für mich wie Zensur an, ja. Ich denke, es ist NICHT gut, Leuten zu sagen, etwas nicht zu tun, ich denke, man sollte denen andere Wege und Optionen aufzeigen.

T: Aber “Zensur” ist ein harte Bezeichnung, bist du sicher, dass du diese benutzen möchtest?

I: Ich kann es erklären.

T: Bitte…

I:  Für mich als Schauspielerin mit Theaterdarsteller-Background könnte sowas ein Problem sein, denn die Bühne ist für mich ein Ort der Schönheit, der Zartheit, aber auch der Brutalität, des Blutes, der Grausamkeit. Als Künstler haben wir die Möglichkeit Gedanken bei Menschen hervorzurufen. Und wenn wir versuchen solche Themen zu vermeiden oder solche Themen sehr „korrekt“ und nett zu behandeln, das Ergebnis ist, wie man auf Hebräisch sagt, „weder Milch noch Fleisch“.

T: Kannst du das auf Hebräisch sagen?

I: Lo basar ve lo chalav.

T: Ich hab nur Bahnhof verstanden.

I: Seltsam… Es bedeutet, dass sowas irgendwo in der langweiligen Mitte ist. Und manchmal ist das das Schlimmste oder? Wenn wir versuchen korrekt und nett zu sein, dann wird die Bühne steril. Ich führe große Diskussionen mit mir selbst, was ist beleidigend und was nicht. Und will diese Verbote als Künstlerin nicht haben.

T: Also bedeutet dies, dass wenn es dir danach ist, du kannst einfach auf die Bühne gehen und einfach Minderheiten beleidigen und so jeden angreifen, der nicht so ist wie du?

I: Nein. Denn gleichzeitig, und das ist sehr wichtig, übernehme ich Verantwortung für das, was ich auf der Bühne mache. Ich nutze Klischees beim Spielen, aber nachdem sich die Geschichte fortentwickelt hat, steige ich tiefer ein und ich entdecke mehr Aspekte meines Klischeecharakters. Auf diesem Weg versuche ich Leute zum Nachdenken zu bringen. Wenn ich zu direkt und unhöflich gewesen bin oder nicht super PC (was immer dies auch heißen mag), mache ich dies, um eine Geschichte zu erzählen und ich werde bestimmt nicht nur solche Charaktere spielen, die eine weiße Frau aus Israel in ihren Vierzigern darstellt.

T: Du bist in deinen Vierzigern?

I: Sssshhhhhhh!!!!! Sag keinem was darüber! Ich werde verschiedene Charaktere spielen, wenn die Geschichte dies braucht, denn das ist mein Job: das beste improvisierte Theaterstück, was ich machen kann,  für den Moment zu kreieren. Und ich bin überglücklich, genau das in meinem Workshops mit anderen Improschauspielern zu erkunden. Ich gebe denen die Zuversicht und die Erlaubnis, so zu agieren und ich stelle sicher, dass sie auch die Verantwortung begreifen, damit auch damit verbunden ist.

T: Das klingt schwierig.

I: Das ist weder ein Workshop für faule Improschauspieler, noch für welche, die auf einem Amateur-Level bleiben wollen, was ich total verstehen kann. Manche machen Impro nur für den Spaß und das ist super. Für mich ist Impro eine Kunstform, daher sind meine Erwartungen an mich selbst unterschiedlich.

T: Unter dem Strich handelt der Workshop also über was?

I:  Wie wir alles und jedermann spielen können, um eine gute Geschichte zu erzählen.

T: Und “eine gute Geschichte” definierst du wie?

I: Eine gute Geschichte ist eine Geschichte, die das Publikum zum Lachen bringt, das Publikum berührt und das Publikum zum Nachdenken bringt. Sie sagt uns etwas über uns selbst, über unser Leben, unsere Gesellschaft, über Leute, über Liebe, Hass, Tod …

T: Ok, ich habs kapiert. Erzähl jetzt über diese „Playing with the enemy“-Show…

I: Ich spiele die Show mit Zaki Zikani, er ist Improschauspieler mit arabischen Wurzeln aus dem Mittleren Osten. Wir beide sind politisch sehr geladen, wir sind traurig, betroffen und irritiert von der Absurdität der Situation im Mittleren Osten. Das Traurigste für uns ist, dass wir praktisch Nachbar sind und wir eine gemeinsame Show dennoch nur auf europäischem Boden machen können.

T: Wie unterschiedlich seid ihr denn – du als Israeli und er als Araber?

I: Ich denke, wir haben viele Gemeinsamkeiten. Die Hälfte meiner Familie kommt aus Bagdad.

T: Woher kommt dann die andere Hälfte?

I: Mashhad in Iran.

T: Du machst Witze!

I:  Nicht gerade jetzt, nein. Also vor zwei Generationen war meine Familie eine Israeli-Familie in einem arabischen Land. Und wenn ich mich mit Zaki treffe, dann erfahren wir dies beide ganz deutlich. Wir haben denselben Rhythmus, denselben Humor, dasselbe Aussehen…

T: Hat er nicht einen langen Bart?

I: Außer dem Bart vielleicht…

T: Aber das klingt für mich nach einer sehr ernsthaften Show. Ist das so eine sehr ernste Show mit dem ganzen politischen Konflikt und der ganzen Traurigkeit?

I: Ist sie, denke ich. Wir müssen mit Zaki nicht viel tun, um die Show politisch zu machen. Wir können uns entscheiden, Giraffen zu spielen, die Show wird dennoch politisch bleiben.

T: Politische Giraffen?

I:  Denn wir beide – auf einer Bühne – das ist bereits ein politischer Akt.

T: Also ihr beide steht einfach auf der Bühne wie zwei politische Giraffen? Das ist die ganze Show?

I: Yeahh Mann, das wäre eigentlich ein fantastisches Format… Aber nein, wir spielen viele verschiedene Szenen – manche davon basieren auf Gedichten, die während der arabischen Frühlingsrevolution geschrieben wurden.

T: Aber was ist das Unterhaltsame daran?

I: Es ist unterhaltsam, denn unsere Plattform ist Impro, daher wird es IMMER eine Komödie sein.

T: Gott sei Dank!

I: Doch eine Komödie kann Tiefgang, Witz, eine traurige Note und viel mehr haben. Und wir werden das ganze Reichtum dieses Genres genießen. Ich denke, das ist unser Hauptziel bei dieser Show.

T: Was ist mit Propaganda?

I: Ich denke, die größte Falle während man eine Improshow macht, ist der Versuchung zu erliegen, das Publikum zu erziehen. Es ist gefährlich, mit zu viel Agenda auf die Bühne zu gehen, denn es besteht das Risiko, Propaganda für unsere eigenen Interessen zu machen.

T: …und wir wollen ja eine lustige Comedy-Show.

I:  Also das ist keine Show, die das Ziel hat, jemanden zu erziehen und in eine bestimmte Richtung zu lenken. Es ist eine Show, die die Leute zum Fühlen und Nachdenken bringen sollte. Wir müssen sehr aufpassen, um nicht die Realität schwarzweiß zu malen. Ein Teil dessen, was Kunst bewirken kann, ist Schattierungen, verschiedene Nuancen aufzuzeigen, und Komplexität. Wir müssen den Mainstream kritisieren, klar! Wir sollten immer misstrauisch sein, was das Establishment angeht, immer! Aber wir sollten nicht glauben, dass die Sonne aus unserem Arsch scheint.

T: Du sagtest “Arsch” …

I:  Entschuldigung.

T: Also gib mir bitte ein paar Tipps – wie kann man mit “Feinden” spielen?

I: Ich denke, in der Impro-Szene gibt es vielleicht ab und zu mal irgendwelche Ego-Kämpfe, aber echte Feinde? Grundsätzlich ist es eine sehr offene und freundschaftliche Community, oder?

T: Wechselst du gerade das Thema?

I: Ok, ok… Wenn ich mir eine Traumshow vorstellen würde, in der ich mit Spielpartnern aus der gesamten arabischen Welt spiele…

T: Viel Hummus…

I: Viel fantastisches Essen!! Aber auch, ich bin mir sicher, wird es viel Anspannung am Anfang geben. In diesem Fall sagt Zaki immer: “Das Leben ist die beste Probe.” – geht zusammen aus, redet, trinkt Kaffee zusammen, redet, esst zusammen, redet …

T: Viel reden …

I: Improschauspieler reden viel und gern.

T: Und was ist mit Proben?

I: Klar! Probt noch dazu! Seid keine faulen Bastards! Aber kennt euch auch auf der persönlichen Ebene, damit ihr auch ein gewisses Level von Freundschaft pflegen könnt, wenn ihr dann später auf der Bühne seid. Denn Freundschaft ist ein sehr wichtiger Aspekt, wenn  man gutes Impro machen möchte, glaube ich.

T: Also du und Zaki, ihr seid Freunde? Ihr könnt über alles miteinander reden?

I: Über alles außer über: “Wer hat mit dem Unfug im Mittleren Osten angefangen?”

T: Ihr könntet sagen, dass jemand anders dies tat – die Europäer zum Beispiel? Würdest du so ein Thema in der Show bringen?

I: Absolut! Wir haben dies bereits getan. Das eine Mal war es super lustig und ein anderes Mal bin ich in Tränen ausgebrochen.

T: Auf der Bühne?

I: Ja!

T: Nicht besonders professionell.

I: Ich habe es für den Charakter genutzt.

T: Verstehe. Wir nähern uns dem Ende…

I: …der Welt?

T: …des Interviews.

I: Oh, Gott sei Dank!

T: Macht es dir keinen Spaß?

I: Doch. Ich dachte nur an das Ende der Welt, daher. Aber das Ende des Interviews, ist nicht so dramatisch…

T: Was ist die Botschaft deiner  Show “Playing with the enemy”?

I: “Fuck governments!” “Fuck lies!” “Fuck power”

T: Du hast schon wieder Schimpfwörter benutzt…

I: Sorry

T: Aber warum diese ganze Negativität?

I: Ich dachte, es würde cool klingen…

T: Also es gibt keine tiefere Bedeutung?

I: Okay… Die Idee ist, dass es einen Weg für Leute gibt, sich zu verständigen, obwohl man anders ist. Ich gebe meine kulturelle Identität nicht auf, damit die Show oder meine Freundschaft mit Zaki funktioniert. Ich bin kulturell gesehen Judin aus Israel, ich hab in der Israelischen Armee gedient…

T: Hattest du einen Uzi?

I: M-16. Ich bin all diese Dinge, die mich zu dem Menschen gemacht haben, der ich bin, aber ich werde keine dogmatischen Lügen, die führende Politiker in unseren Herkunftsgebieten verbreiten,  für bare Münze halten, damit sie mehr Geld machen können. Außerdem sage ich auch nicht, dass sich alle Araber mit allen Israelis verständigen können! Ich bin weit entfernt von dem Gedanken, dass die Probleme im Mittleren Osten binnen eines Jahres gelöst werden können und dass wir alle glücklich dem Sonnenuntergang entgegenreisen werden, aber ich werde nicht lieben und nicht hassen, nur weil jemand anders das von mir verlangt.

T: Aber du empfindest Angst und Hass…

I: Sehr oft! Wie ich bereits sagte – dies sind verwirrende Zeiten für mich. Aber ich versuche, das, was ich fühle und denke immer wieder zu beobachten. Ich versuche, das Gefühl und die Gedanken dabei voll auszukosten. Gleichzeitig prüfe ich, wo meine Gefühle und Gedanken herkommen. Vielleicht sind sie nicht tatsächlich meine Gedanken und meine Gefühle, aber ich behalte sie – denn ich könnte sie für eine Improszene eines Tages gebrauchen.

T:  Das klingt nach einer ziemlichen Herausforderung… für mich als Improschauspielerin, meine ich.

I: Melde dich für meinen Workshop an.

T: Ich habe eine allerletzte Frage.

I: Nach dieser langen Rede, die ich gerade gehalten habe?

T: Was hilft einem Künstler, den Durchbruch in seiner Karriere zu schaffen?

I: Okay, ich kann nicht für alle Künstler sprechen – Männer oder Frauen – , ich war immer von diesem Satz meines sehr geliebten Akrobatiklehrers fasziniert, den er immer wieder sagte: “Talent ist 90 Prozent die Fähigkeit, hartnäckig und ausdauernd zu sein.“ Dieser Satz machte mich so etwas wie depressiv, als ich jünger war, denn ich stellte mich als die Sklavin meiner Arbeit vor, immer und immer hart arbeitend ohne jeden Funken Spaß daran. Und in der Tat, manchmal ist es genauso. Aber es gibt Zeiten, da macht es viel Spaß! Mein Ziel ist es, immer besser und besser zu werden, niemals das Ende meiner Entwicklung zu erreichen. Also manchmal habe ich Durchbrüche und manchmal habe ich das Gefühl, dass ich nur im Kreis laufe. Aber ich weiß, dass diese Runden vorbei sein werden, daher muss ich dranbleiben, damit der nächste Durchbruch kommen kann.

T: Klingt nicht nach viel Spaß…

I:  Definiere Spaß…

T: Dieses Interview ist zu Ende.

I: Danke, ich hatte viel…


Die Show: “Playing with the enemie” mit Zaki Zikanis findet am 15. Novemer im Ratibortheater statt.
Tickets: billeto.net

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Die Redaktion