IMPRO 2016: Who are you?

Internationales Festival Impro 2016 Berlinvon macro:
Das English Theater war am 13. März 2016 Schauplatz für ein existentialistisches Format, entwickelt und präsentiert von Lee White. Weitere Identitäten auf der Bühne waren Daniel Orrantia (Speechless, Bogotá), Farah Shaer (Impro Beirut), Inbal Lori (Three Falling, Tel Aviv), Maja Dekleva Lapajne (Kolektiv Narobov, Ljubljana), Menelaos Prokos (Bus Kai, Athen), Randy Dixon (unexpected productions, Seattle), Roland Trescher (isar 148, München) sowie Robert Munziger und Felix Raffel (Die Gorillas, Berlin).
Menschen versuchen seit Anbeginn nicht nur zu Ergründen, wie die Welt beschaffen ist, sie suchen Erkenntnis über Mitmenschen und sich selbst. Und so versprach Lee White, das wir sowohl die Spieler des Abends, wie uns selbst, besser erkennen werden. Und er sollte recht behalten.

Who are you
Who are you? Fragestellung von Roland Trescher an Robert Munziger, der seinen Hund aus dem brennenden Haus retten würde

36 Fragen um sich zu verlieben

Das Format basiert auf einer Studie des US-amerikanischen Psychologen Arthur Aron. In diesem Experiment beschreibt Aron 1997, wie Intimität zwischen zwei vollkommen fremden Menschen hergestellt werden kann. Die beiden müssen wahrheitsgemäß intime Fragen beantworten, die auf der eigenen Verletzlichkeit basieren und sich dann 4 Minuten in die Augen schauen.
Genau so begann in der 1. Hälfte jede der 7 Szenen: zwei Spieler*innen stellten bzw. beantworteten je eine dieser Fragen, um sich dann lange gegenseitig in die Augen zu schauen. Im Hintergrund begann davon inspiriert organisch eine Szene.

Who are you - Lee White, Menelaos Prokos und Maja Dekleva Lapajne
Lee White als Hund und Symbol für Menelaos Prokos, sein zu Hause und Maja Dekleva Lapajne zu verlassen

Es wurde z.B. gefragt, wenn du in die Zukunft durch eine Kristallkugel sehen könntest, was würdest du wissen wollen oder worüber du keinen Witz machen würdest. Die Fragen brachten oft große und emotionale Antworten der Personen hervor. Einige Aussagen waren witzig, einige berührend, einige ausweichend, einige hart. Alle boten Stoff für anschließende Szenen, die diese Kraft nutzen und stark das jeweilige Thema interpretierten.
Felix Raffel an der Musik steigerte durch zurückgenommene Unterlegung die Intensität dieser Szenen nochmals. Ebenso definierte er gekonnt mittels Sound Räume zum Szenenstart. Später war er als halbautonomes Klavier von Stevie Wonder noch mehr im Bühnengeschehen und hatte mit Daniel Orrantia sichtlich und hörbar Spaß.

Who are you - Daniel Orrantia und Inbal Lori
Daniel Orrantia und Inbal Lori

Energie, Ballance und Selbsterkenntnis

Dabei ist das Format nicht einfach: die Frage- und in-die-Augen-schauen-Sequenz ist naturgemäß ruhig und intensiv. Dafür müssen die Szenen sofort ihre eigene Energie von selbst mit auf die Bühne bringen. Das setzten insbesondere L. White, I. Lori, D. Orrantia, R. Trescher und M. Prokos stark um. Ebenso wurde sehr physisch mit ausdrucksstarken Bühnenbild-Konstellationen eine bildhafte Ausdrucksform gefunden und die Spielenergie hochgehalten.
Ebenso interessant: die Stille des Ansehens gab mir als Zuschauer Zeit, über meine Antwort auf diese Frage nachzudenken. Die Erkenntnis des selbst und Reflexion meiner persönlichen Antworten machte diese Hälfte für mich besonders erlebensintensiv.

Who are you - die 5 Stimmen (F. Shaer, Maja, M. Dekleva Lapajne, R. Trescher, R. Munziger) im Kopf  von Inbal Lori beim Psychologen Randy Dixon

Publikumsbeteiligung

In der zweiten Hälte bestimmte Lee White mit Hilft des Publikums eine Zuschauerin, bat sie auf der Bühne Platz zu nehmen und sich weiteren Fragen zu stellen. Und die Zuschauerin Licia entpuppte sich als ein purer Glücksgriff. Strahlend beantwortete sie die charmant gestellten Fragen und gab damit Vorgaben zu insgesamt drei längeren Szenensequenzen. Darunter waren durchaus harte Themen, wie der Ratschlag ihres Vaters, immer zu versuchen die Klügste zu sein, da sie als dunkelhäutige Frau schon doppelt benachteiligt sei. Das Ensemble scheute sich nicht, solche Themen wie Rassismus feinfühlig und klug auf die Bühne zu bringen. Insbesondere Inbal Lori zeigte ihr riesiges Können und ließ das gesammte Team erstrahlen.

Publikumsgast Licia erzählt Lee White, sie wünschte sich fliegen zu können.
Publikumsgast Licia erzählt Lee White, sie würde sich wünschen fliegen zu können.
Who are you
Daniel Orrantia, die fliegende Inbal Lori und Maja Dekleva Lapajne

Fazit: Ich habe mehr über die Spieler, über eine Zuschauerin und über mich erfahren. Und es ist wirklich fesselnd, wenn man sich auf dieser tiefen Ebene begegnet. Ich hätte sehr gern noch weitaus mehr sehen und erleben wollen. Und scheinbar ging es allen im Publikum so, wie der tosende Applaus mit Händen und Füßen am Schluß zeigte.

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