Amsterdam Improfestival – History, Hip Hop, Hallelujah

von Thomas Jäkel und macro:

AMSTERDAM- Der Donnerstag (29.1.2015) des 20. International Improvisation Theater Festivals Amsterdam hielt experimentelle Formate bereit.

Timelapse – Vorgaben aus dem Raum und der Zeit

Impro Amsterdam - Timelapse

Die erste Vorstellung des Abend gehörte mit Timelaps wieder dem Festival-Ensemble und begeisterte mit historischem Inhalt, spielerischen Leistungen und einem effektvollen Format. Die Verantwortung für die Show trug Rafe Chase von BATS Improv und 3 for all aus San Francisco, der in einer 90 minütigen Probe das Format mit dem Ensemble erarbeitet hatte.

Angekündigt war ein Einblick in die Geschichte des Compagnietheater, in dem alle Shows des IMPRO Amsterdam Festivals stattfinden. Die erste Überraschung war, dass das klassizistische Gebäude, 1792-1793 als protestantische Kirche erbaut wurden war, unter Auflage der Stadt, kein äußeres Zeichen wie Turm oder Kirchenglocken zu verbauen, die es als Gotteshaus erkennen lassen. Ausgehend von diesen historischen Häppchen wurde nach einem Zeitpunkt wärend der Kirchennutzung gefragt und einem dazugehörigen Ereignis. Die Inspiration war “1918” und “flu” (Grippe) die dann zu einer Szene in der Kirche während einer Grippewelle führte.

Zurückgehend in der Zeit wurden dann zu weiteren Nutzungen des Grundstücks, als Irrenanstalt und Stadtmauer Vorgaben eingeholt, die zu zwei Geschichten führten: dem Ausbruchsversuche zweier Frauen aus der Anstalt und dem Wunsch eines Stadtwachen in die Neue Welt auszuwandern. Diese drei über Jahrhunderte getrennten Handlungsstränge entwickelten sich parallel weiter, in dem abwechselnd zwischen ihnen hin und her gesprungen wurde. Das anfänglich klare Schema wurde aber zum Ende gebrochen, in dem alle drei Handlungen gleichzeitig bespielt wurden, ohne sich wirklich zu berühren. Wie drei Folien sah man das Ende der drei Handlungen übereinander, was sie plötzlich auch thematisch zu verbinden schien.

Das formal überraschende am Format gab aber auch in den lang entwickelten Szenen den Improvisierer*innen des Festivalensembles die Möglichkeit, tief in ihre Charaktere einzusteigen. Jeder spielte nur eine Rolle und wusste diese mitunter schmerzlich weit zu entwickeln. Das Zusammenspiel von Nicole Mischler, Anja Boorsma und Stephen Kearin war wie aus einem Guss und auch die Gebrochenheit der Beiden Anstaltsinsassinnen wurde berührend von Inbal Lori und Maria Peters dargestellt. Timelapse – ein echtes Festivalhighlight.

Milly Can Rap – Don’t talk, rap it!

Milly Can Rap

Ryan Millar und Trent Pancy haben einiges gemeinsam: sie kommen aus Nordamerika und leben in Europa (Amsterdam und Tampere), lieben Langform Improvisation und Freestyle Rap. Mit dieser Einleitung – natürlich gerapt, ging es los. Die beiden befragten eine Zuschauerin – die als Landschaftsarchitektin Gärten für Alzheimerpatientin gestaltet. Das sorgte für eine spontan gesungene Lobpreisung und lieferte gleichzeitig etliche Spezifika für die dann direkt anschließende Show.

Mehrere Geschichtsstränge wurden jeweils in Zweierszenen begonnen, die sich nach und nach verknüpften. Das wirklich spezielle daran war der intensive Einsatz eines der fünf Elemente von Hip Hop – dem Rap. Dabei übernahm einer der beiden das Beatboxing – also die Rhythmusmaschine mit dem Mund und der andere reimte in passendem Sprechgesang. Die Songs dehnten dabei nicht nur den Moment aus, um Gefühle zu verdeutlichen sondern wurden auch zum Storytelling verwendet. Ebenso war nicht zwingend nach einem Lied die Szene zu ende, sondern es wurde nahtlos weiter gespielt. Zu Initialisierung benutzten die beiden unterschiedliche Methoden – start des Beatboxing, wiederholen eines Satzes oder beginn von Reimen und rhythmisierter Sprache. Somit konnte jeder den jeweils anderen auch zu einem Song herausfordern. Die Bandbreite ging dabei von Balladen bis hin zu sehr schnellen Passagen. Und sie benutzten keinerlei Ghettoslang, sondern rappten wirklich Geschichten in dem jeweiligen Charakter.

Das Duo überzeugte durch sehr große Spielfreude und geistige Wendigkeit. Beide sind sehr charmant – was eine wirkliche Freude beim Zusehen ist. Da lassen sich leichte Unstimmigkeiten der Geschichte einfach übersehen, denn die Spielfreude springt einfach über. Das Format wurde von einem Klavierspieler begleitet, was für mich verzichtbar wäre. Ich könnte mir das mit Turntablism (DJing – ein weiteres Element des Hip Hop) auch sehr gut vorstellen. In jedem Fall ein Hey! Ho! auf Milly Can Rap.

Soundorganismen vom Genetic Choir

Der Genetic Choir aus Amsterdam brachten eine Soundmaschine als Bühnenformat in den Late Night Slot. Die 6 Spieler formten aus mit dem Mund erzeugten Soundstücken improvisierte Soundteppiche. zu Beginn waren sie sitzend zwischen dem Publikum getarnt und nahmen zufällig entstehende Geräusche wie husten und Knarzen auf, um damit dann durch Wiederholung und Modifikation zu Musik zu kommen. Ein Paradigma der Gruppe ist “Alles ist Musik oder kann zu Musik werden”. Später werden Soundvorgaben auch vom Publikum eingeholt.

Der Name Genetic Choir kommt daher, das sie Musik zerlegen in einzelne Musik-Gene oder Bits – ähnlich wie den genetischen Code – und diese zu neuen Gebilden zusammensetzen. Die Zusammensetzung wie auch die Pausen und das Ende wird von dem Organismus selbst entschieden, es gibt keinen Dirigenten oder abgesprochene Zeichen. Das Ganze war durchaus interessant anzuhören. In Workshops habe ich solche Übungen schon öfter gemacht, auf der Bühne aber noch nie gesehen. Schön das auch für so eher Experimentelles Raum beim Improfestival Amsterdam ist.

macro
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