Impromania – Improvisierte Langform ohne Worte? Geht!

von Simona Theoharova und Florian Bensiek:

BERLIN – Zum Abschluss des Impromania Festivals wurde es am 8.11.2014 in der letzten Show vor dem Finale international: In der ersten Hälfte duellierten sich die italienischen Gäste von Teatribù mit den Nordamerikanern von Paradigm nach den Regeln des Theatersports um die Gunst der Zuschauer. In der zweiten Hälfte sorgte dann das kolombianisch-kanadische Trio Speechless mit ihrer Berlin-Premiere für den Systemwechsel: Ihr Programm kam ganz ohne Worte aus.

Viele Worte im Theatersport

Foto: Florian Bensiek
Foto: Florian Bensiek

Die 1. Szene des Abends wurde von beiden Teams gemeinsam gestaltet. Nach der ersten Publikumsinspiration „Rot“ zeigten die Schauspieler Freeze-Tag Szenen, in denen dann jeweils der Schauspieler, der ersetzt wurde und somit aus der Szene ausstieg, nach einer neuen Inspiration für die auf der Bühne verbleibenden Kollegen fragte.

Punkte wurden dann ab der zweiten Szene verteilt, in der es um Theaterstile ging. Das italienische Team improvisierte nach den Vorgaben „schlecht riechend, brutal und gierig“ ein Dantes ‘Inferno’ nachempfundenes Stück- selbstverständlich auf italienisch. Die von der Moderatorin Jana Kozewa ironisch als Improneulinge vorgestellten Lee White und Joe Bill brachten einen nicht erfüllbaren Traum – nach Kanada zu reisen – im Stil von Tennessee Williams auf die Bühne und gewannen damit die ersten Punkte.

Die nächste Szene stand unter dem Motto „Fantasy“. Beide Gruppen zeigten dabei zusammen den Kampf zweier Familien, deren Namen sie sich von Zuschauern einholten. (Foto) Mit Punktegleichstand ging es nun auf die Entscheidung der Frage zu, welches Team sich für das Finale qualifizieren könnte. Die Italiener präsentierten eine spannende Szene, in der jeder Schauspieler so viele Charaktere spielen musste, wie vorher vom nichts ahnenden Publikum durch die Auswahl einer Zahl von 2 bis 7 festgelegt wurde. Dabei schlüpften sie am Spielort „Taj Mahal/Indien“ vom Palastkätzchen über Bigamisten samt zahlreicher Ehefrauen bis hin zum bollywoodmäßig tanzenden Flaschengeist in bis zu 8 Rollen pro Schauspieler. Ja, richtig gelesen, eine Zuschauerin wollte mehr als 7.

Lee und Joe konterten mit einer „Sitzen, Stehen, Knien“ Szene, bei der sie von einem äußerst fähigen Publikumsgast auf der Bühne in einem WG-Konflikt unterstützt wurden. Auch das Finale, in dem beide Teams zusammen die Live-Musik von „Piano Reeves“ zusammen mit dem Publikumsvorschlag „Loving animals“ umsetzen, brachte keine Wende mehr zu Gunsten der Italiener und so zogen die Lee und Joe ins abendliche Finale ein.

Ohne Worte zur Langform

In der zweiten Hälfte traten dann „Speechless“ an, um die folgende Frage zu beantworten: Improvisierte Langform ohne Worte – wie soll das gehen? Als Inspiration fragten sie die Zuschauer nach Kindheitserlebnissen, Geheimverstecken, magischen Gegenständen… Mit auf den Weg in ihr Format nahmen sie „über Wolken springen“, „weglaufen“ und „Krokodilsgrube“. Begleitet von Musik und Sounds der stets aufmerksamen und inspirierenden DJ Mama Cutsworth kreierten Daniel Orrantia und Felipe Ortiz eine Geschichte rund um einen Jungen, welcher Spielzeuge gegeneinander Krieg führen lässt. Als er von seiner strengen Mutter zum Essen gerufen wird, beginnen seine Spielzeuge ihr eigenes Leben, reißen aus und erleben Abenteuer von lustigen Kämpfen mit Krokodilen, ernsten Gefängnis- und sogar brutalen Folterszenen, bis hin zu Wolkenspaziergängen ihrer Seelen.

Foto: Florian Bensiek
Foto: Florian Bensiek

Das wunderbar exakte und deutliche (pantomimische) Spiel der beiden à la Stummfilm mit Buster Keaton und Charlie Chaplin entführte die mucksmäuschenstillen Gäste in eine Phantasiewelt, in der zum Schluss nicht alles im kleinsten Detail klar wurde, aber jede/r ZuschauerIn die Leerstellen mit der eigenen Phantasie füllen konnte.

Man spürte förmlich die Leidenschaft und Hingabe, mit der die Spieler von Kopf bis Fuß in die Geschichte eintauchten. Sie nutzen Stilmittel wie in Filmen, indem sie Szenen mal in der Nahaufnahme und mal in der Totalen zeigten, wobei ihre vorher großen Figuren nur noch durch Finger dargestellt wurden. Oder sie spulten vor, spielten dann in Zeitlupe. Es war schön zu merken, dass sie dem Publikum diese Vorstellungskraft zu sprachen. Für uns persönlich hat es auch funktioniert.

Ebenso nutzen die beiden wunderbar ihre Gegebenheiten aus: war der eine doch deutlich größer als der andere, wurde pantomimisch sehr exakt gespielt und dem Kleineren der Ausblick aus dem Fenster verwehrt oder ihm ein imaginärer Hocker gebracht. Aufmerksam und konzentriert brachten sie alle Elemente wieder ein, schreckten auch vor ernsten Szenen und dem Thema Tod nicht zurück, brachten aber danach wieder wortwörtlich phantastische Leichtigkeit ein.

Ein Wort und der Traum wäre zerplatzt

Bedingungsloses Annehmen, kein ausdiskutieren sondern (re)agieren mit und für den anderen. Besonders das ‘für’ erlebte man hier in einer ungeahnten Intensität. Die einzigen Requisiten waren 4 Stühle, die vielseitig genutzt wurden und im letzten Drittel wurde das Publikum als Wald mit einbezogen. Die Musik unterstützte und inspirierte mit Klängen von Regengeräuschen bis hin zu Action- und Verfolgungsmusik. Sie kreierte Atmosphären, Tempi und Phanatsien. Gekonnt und schön miteinander harmonierend arbeiteten die drei Akteure vollkommen konzentriert auf der Bühne, ohne eine angenehme Leichtigkeit und einen charmant- neckischem Humor zu verlieren. Man wurde buchstäblich in einen Traum, eine Kinderphantasie entführt und blieb die ganze Zeit dabei.

Happy End einer runden, bewegenden, charmant-traurig-schönen Geschichte, für die sich mit großem Applaus bedankt wurde. Übrig blieb das intensive Gefühl, eingetaucht zu sein und erlebt zu haben. Der einzige Gedanke: ja, wozu denn Worte? Denn nur ein Wort und der Traum wäre zerplatzt.

Teatribù: www.teatribu.it

Speechless: speechlessimpro.wordpress.com

Thomas Jäkel
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