Impro-Theater und Politik in Berlin

von Ronald Pabst:

BERLIN – In der Hauptstadt gibt es viele Volksbegehren und viel Theatersport. Über Ostern habe ich gesehen, dass beides zusammen passt. Und es gibt eine gute Nachricht: Impro-Theater kann hochpolitisch sein.

Ich habe ich mich von Köln aus auf den Weg gemacht, um mit Michael Efler Unterschriften für das Volksbegehren zum Energietisch zu sammeln. Wir nennen so etwas Aktionsurlaub. Er hat mit anderen die Initiative gestartet. Ziel: Das Berliner Stromnetz soll den Klauen eines schwedischen Energiekonzerns entrissen werden. Der heißt Vattenfall, betreibt acht Atom- sowie viele Kohlekraftwerke und hat ein arges Imageproblem. Jedenfalls unterschrieben viele Menschen, als ich sie mit der Zauberformel ansprach:„Wir wollen Vattenfall das Stromnetz wegnehmen“. Die Verträge dazu werden alle zehn Jahre ausgeschrieben. Jetzt bietet sich ist die Chance, es wieder unter öffentliche Kontrolle zu bringen; so kann Berlin besser für die Energiewende gerüstet werden.

Im Bühnenrausch

Freitagskrimi. Foto: Schmetterlings Improvisationstheater
Freitagskrimi. Foto: Schmetterlings Improvisationstheater

Am Prenzlauer Berg gibt es ein mutiges Projekt: das BühnenRausch. Hier kommt ausschließlich Impro-Theater auf die Bühne, wobei ganz verschiedene Gruppen auftreten – mit unterschiedlichen Formaten.

Am ersten Abend schaue ich mir den abendfüllenden Freitagskrimi vom Improvisationstheater Schmetterling an. Den Tatort sollen die Zuschauer bestimmen. Sofort ruft ein Mann zielsicher, dass der Mord im Finanzamt Oranienburg stattfinden soll. Dort entwickelt sich dann eine wilde Geschichte um dessen Chef, den seine Sekretärin mit einem Strohhalm umgebracht hat – was wiederum ein Fensterputzer aufklärt. Zwischendrin gibt es viele Verwicklungen, garniert mit überraschenden Wendungen, Statuswechseln und Gesangseinlagen. Es kommt echte Agatha-Christie-Stimmung auf: Als Zuschauer will ich wissen, wer es denn nun war. Es bleibt bis zum Ende ein Ratespiel, denn selbst die Schauspieler sind im Unklaren.

Nach dem Spiel ist die Stimmung locker und ich verschwinde mit zwei Müttern im nahegelegen Druiden, einer Absinth-Kneipe. Doch bevor wir versacken können, wird die eine per Handybabyfon zum Kind gerufen. Schwupps, weg sind sie. Berlin ist eine große Impro-Bühne.

Drei Sammler im Schnee

Tagsüber sammele ich mit Michael und seiner Freundin Claudia für das Volksbegehren. Es ist spannend, wie bekannt die Verfahren direkter Demokratie in der Hauptstadt sind. Viele kennen das Wasservolksbegehren, das dazu führte, dass große Teile der Wasserversorgung wieder in städtischer Hand liegen. Gleich an zwei Tagen hintereinander breche ich einen Rekord:

Michael Efler, Charly Rutz, Ronald Pabst
Michael Efler, Charly Rutz, Ronald Pabst

Zunächst unterschreibt ein 92 Jahre alter Mann bei mir. Am nächsten Tag treffe ich sogar jemanden, der uns noch mit 93 Jahren unterstützt. Die Alten trauen sich wenigstens auf die verschneiten Straßen, die ansonsten von Touristen nur so wimmeln. Die Berliner sind wohl lieber unter der Decke geblieben. Am Tempelhofer Feld, wo doch schon fleißig gegrillt und spaziert werden sollte, stehen nur einige Schneemänner herum. Die sind nicht wahlberechtigt, obwohl einige bald das nötige Alter dafür erreicht haben. Zwischendurch muss ich einem Schneepflug ausweichen.

Michael und ich liegen im Wettstreit: Wer hat mehr Unterschriften? Jeden Tag schlägt er mich um ein paar. Aber das ist bloß eine Randnotiz, denn am Ende zählt nur eins: die Gesamtzahl im Büro. Und die wächst wegen der Rekordkälte etwas zu langsam. Dabei kann die Initiative das Ziel von 200.000 erreichen – wenn noch mehr Menschen in Berlin mitziehen.

Theater ohne Probe, dafür politisch

Am letzten Abend bin ich wieder im BühnenRausch. Die Show heute heißt TOPs der Woche. Zunächst holen sich die Schauspieler Themen aus den aktuellen Nachrichten. Das ist mutig und weit weg vom üblichen Fragen, mit denen auf Werkzeuge, Farben oder Gefühl improvisiert wird. Es zeigt sich, was vom Strom der Nachrichten überhaupt in den Köpfen ankommt. Außerdem setzt das Format so den Rahmen für Dinge, die man eben normalerweise nicht auf einer Improbühne zu sehen bekommt.

Für Thomas Jäkel und Uta Walter vom Theater ohne Probe war der Nachrichtenteil eher zum Aufwärmen. Direkt im Anschluss werden die Zuschauer nach ihren besonderen Erlebnissen in der Woche gefragt. Gleich zu Anfang erzähle ich meine Geschichte vom Sammeln und meinem Altersrekord. Daraus spinnen die beiden eine Szene, die eine Werbeeinblendung für das Volksbegehren ist. Ich bin nicht im Dienst und habe leider keine Listen dabei, sonst hätte ich Michael noch deutlich überholt. Verflixt.

Auch die Geschichten der anderen Menschen sind einfach tolle Vorgaben. Dabei gelingt es den Schauspielern, diese Geschichten mit Umsicht und Geduld einzuholen. Gerade am Anfang setzt es die Menschen unter Stress und es dauert ein paar Fragen, bis sie ins Erzählen kommen. Nach der Show hat Thomas gesagt, dass es ein großer Fehler ist, ein Interview ohne Ergebnis zu stoppen. Denn dann versucht jeder der Angesprochenen, ebenso aus der Nummer herauszukommen. Für einige ist es sichtbar schwer, sich an besondere Momente zu erinnern. Dabei hat natürlich jeder welche – man sollte im Alltag auf sie achten und sie genießen. Aus den Vorgaben entbrennen sich dann Geschichten um den Verkauf von Schildkrötenschmuck, die Bahn und Papst Sixtus in Rom. Bei einer Führung an der Gedenkstätte an der Berliner Mauer schlüpft Thomas gleich in drei Rollen, die er ausdrucksstark spielt. Es ist ein ganz großer Impro-Moment.

Der Höhepunkt dieses Abends war der Auftritt von Mehmet. Er war im Publikum und hat verraten, dass er Background-Tänzer bei der Fernsehshow DSDS ist. Während Thomas über die Show singt, wird Mehmet spontan für ein Tänzchen auf die Bühne geholt. Und im Auftritt mit Uta wartet er gefühlvoll mit seiner Choreografie, bis sie nachziehen kann. Bei seinem Tanz ist in jeder Faser des Körpers Spannung. Stark. Das ist Impro.

Auf den Straßen Politik und im Theater Experimente: Die Hauptstadt brodelt. Die nächste Show vom Theater ohne Probe ist eine Impro im Sinne von Brecht – der wollte mit Theater die Verhältnisse ändern. Daran kann nun jeder Berliner teilhaben, in dem er das Volksbegehren unterschreibt und sich die improvisierte Brecht-Show anschaut. Die nächsten Termine: 04.04., 02.05. und 06.06.2013, jeweils um 20 Uhr in der Brotfabrik Berlin, Caligariplatz 1.

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