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Kölner ImproStern 2013: Wie man gefühlvoll auf Regeln pfeifen kann

von Ronald Pabst (www.ronald-pabst.com):

KÖLN – Improvisationstheater: Das kann große Gefühle, Hilfestellung und freier Umgang mit Regeln sein. Und manchmal ist es einfach Comedy zum Ablachen. Beim Goldenen ImproStern, der Abschlussshow des Kölner ImproFestivals, trafen diese Welten aufeinander. Am Ende setzte Ben Hartwig das Motto „F**k the rules“ wunderbar um. Das Publikum belohnte es nicht.

Moderatorin Eva Thiel ermittelt Punkte. Foto: Thomas Bruttel

Alljährlich treten beim Kölner Festival, das diesmal vom 19. bis 24. März stattfand, einige der renommiertesten Vertreter der Zunft gegeneinander an. Die Regeln: In jeder Runde steht jeder Darsteller einmal auf der Bühne und spielt mit zufällig ausgelosten Partnern eine Szene. Das Publikum bewertet anschließend jede Szene mit Punkten: Die ausgelosten Darsteller erhalten dabei jeweils dieselbe Punktzahl. Nicht ausgeloste Mitspieler können Szenen unterstützen, erhalten jedoch keine Punkte dafür. Im Laufe der Show scheidet bei zwei Zwischenwertungen jeweils die Hälfte der Spieler aus, bis zuletzt drei Darsteller übrig bleiben. Im abschließenden Stechen spielen diese solo einen inneren Monolog, der in einem Lied enden soll.

Die Finalisten (v.l.n.r.): S. Kjel Fiedler, Dave Luza, Ben Hartwig. Foto: Thomas Bruttel

Diesmal schafften es S. Kjel Fiedler, Dave Luza und Ben Hartwig ins Finale. Für Ben war es der zweite Auftritt beim ImproStern. Bereits 2010 war er bei der FestivalSession vom Publikum zum „Liebling“ gewählt worden und durfte daher bei der großen Abschluss-Show, dem Goldenen ImproStern, als Amateur unter den Profis antreten. Ich erinnere mich gut an einen der Gründe, warum er damals so viel Applaus bekam: Er half in vielen Szenen seinen Mitspielern und ließ sie gut aussehen. Ich muss es wissen, denn ich stand damals bei der FestivalSession mit ihm auf der Bühne.

Inzwischen ist einiges Wasser den Rhein heruntergeflossen. Ben ist mittlerweile ebenfalls professioneller Improdarsteller und spielt unter den Großen. Auch 2013 wirkt er beim Festival in vielen Szenen unterstützend mit, selbst wenn ihn das Los gar nicht dazu bestimmt hat. So bringt er einige Szenen voran, ohne von den Punkten zu profitieren. Wunderbar ist sein Einsatz als Knopf in einem Fahrstuhl, mit dem ein Pärchen den Strom an- und abschalten kann – je nachdem wie weit der Streit untereinander gediehen ist. Das Publikum fordert am Ende einen Extra-Punkt für Ben, den die Jury regelkonform verweigert. Ben bekommt ihn erst, als ihn das Los trifft: Er stellt dort einen „Kinksi-Zombie“ dar. Auch beim Stechen im Finale hilft Ben dezent und führt am Ende als Polizist einen von Dave Luza verkörperten fischdosenfixierten Reggaesänger ab.

Außerdem wirkt Ben an Szenen mit, bei denen große Gefühle auf die Bühne kommen. So in einer Vater-und-Sohn-Nummer mit Dave: Der verzweifelte dachdeckende Vater fühlt sich vom puppenspielenden Sohn allein gelassen; dieser wiederum fühlt sich nicht angenommen. Es knistert auf der Bühne: Wie normal muss man sein?

Nele Kießling und S. Kjel Fiedler, unterstützt vom gesamten Ensemble. Foto. Thomas Bruttel.

Natürlich gab es auch viele Spitzen-leistungen anderer Darsteller. Wirklich schön waren die Fische im Aquarium, in dem sich der Neue gleich als Führer aufspielt: Nach einem Ausbruch finden sich die drei Fische am Ende statt im ersehnten Meer auf dem Teppichboden wieder und drohen qualvoll einzugehen. Die Bewegungen, der Gesang, die Statuswechsel – alles einfach toll. Unschlagbar war Daves Reggae im Finale, mit dem er souverän den Titel abräumte. Danke an die Organisatoren von Clamotta, die mit dem Kölner Festival mittlerweile zum achten Mal eine Plattform für viele großartige Bühnenmomente geschaffen haben.

Für mich waren die erwähnten Szenen die Höhepunkte beim Goldenen ImproStern. Der leider nicht nur leuchtete. Der zweite Teil der Show begann mit auf die Leinwand projizierten Filmszenen, die dann von zwei Darstellern weitergespielt wurden. Zwei von drei Episoden endeten mit Sex. Wie gewagt. Und auch einer der Monologe im Finale beschäftigte sich – hört, hört – mit den sekundären Geschlechtsorganen der Nachbarin. Das ist vorhersehbar. Das ist Comedy. Es ist, das sei gesagt, das Ziel der Veranstaltung. Es wird erreicht. Bis Ben für die letzte Nummer des Abends auf die Bühne tritt.

Für seinen Monolog bekommt er von einer Frau aus dem Publikum die Vorgabe: „Nasepopeln“. Zum sichtbaren Entsetzen von Moderatorin Eva Thiel holt er die Frau auf die Bühne. Er kündigt an, ihr zu zeigen, was solche Vorgaben für Impro-Spieler bedeuten – und scheitert dabei. Er scheitert groß und fröhlich. Er scheitert mit Sentenzen wie „Menschen sind Bücher; schau immer auf den letzten Satz, auf den kommt es an.“ Freilich stimmt das nicht. Denn das Leben ist wie Impro und über keinen von uns ist der letzte Satz schon geschrieben. Zum Glück.

Ben nimmt in seiner Nummer die losen Enden aus den Szenen des Abends auf – so rettet er die Fische, indem er sie vom Teppich in die Vase befördert. Zum Abschluss tanzt er mit der Vorgabengeberin auf der Bühne.

Nach dieser Szene wiesen die Jury und Eva Thiel übertrieben deutlich darauf hin, dass es sich nicht um einen Monolog gehandelt habe. Denn es ist natürlich ganz schlimm, wenn ein Impro-Spieler die Regeln verletzt. Dabei war es ein wunderbarer Impro-Moment. Es war ein grandioses Beispiel für freudiges Scheitern. Für diese Szene hat Ben den Goldenen ImproStern wohl wirklich nicht verdient. Doch es stellt sich die Frage: Darf ein Impro-Spieler die Regeln brechen? Nun, es gibt Momente, wo er es sogar muss: „F++k the rules“!

Dave Luza, Gewinner des Goldenen ImproSterns 2013, umrahmt von allen Mitwirkenden. Foto: Thomas Bruttel
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