IMPRO2011: Absurdes Improtheater

von Marco:

Am Sonntagabend (20.03.2011) brachte die französische Compagnie Combats Absurdes ihre Version eines Stückes, welches Eugène Ionesco nie geschrieben hat, auf die Bühne des Ratibor Theaters. Eines sei gleich vorausgeschickt: Die Franzosen spielten in ihrer Muttersprache und ich verstehe die französische Sprache nur mäßig, so dass ich nicht behaupten kann, die Feinheiten und Raffinesse der gesprochenen Sätze zu beurteilen (wobei mir meine französischsprachige Begleitung versicherte, diese sei hervorragend gewesen!). Blieb mir also nur, das Geschehen auf der Bühne durch Satzfragmente nachzuvollziehen und das Spiel an sich aufzunehmen.

Foto: Impro-News

Aber das hatte es in sich! Was Elise Dano, Marc Schweye, Marko Mayerl und Matthieu Loos aus Strasbourg bzw. Lyon da auf der Bühne veranstalteten, war ganz deutlich anders als alles, was ich bislang an Improvisationstheater gesehen hatte. Unglaublich ausdrucksstark erspielten sich die 4 Spieler in einem fiktiven Wohnzimmer eine sich ständig wandelnde Szene, bei der es zwar klar definierte Figuren gab, die Interaktion zwischen diesen jedoch fragmentartig blieb und der Zuschauer weitestgehend auf einen normalen Handlungsstrang oder eine bekannte Geschichtenentwicklung verzichten musste.

Wikipedia schreibt über das Absurde Theater, zu dessen prototypischen Vertretern Ionesco zählt: “In den Stücken der ‘absurden Dramatike’ lösen sich die vom klassischen Theater geforderten Einheiten der Zeit, der Handlung und des Ortes auf. An ihre Stelle treten unlogische Szenarien, absurde Handlungen und wahllos verknüpft erscheinende Dialogreihen, so dass schließlich nicht mehr vom klassischen Theater im aristotelischen Sinne, das auf die Regeln der Poetik zurückgeht, gesprochen werden kann.” Eigentlich ein naheliegender Ansatz für Improtheater! Eine Szene folgt auf die andere, inspiriert durch das vorher Geschehene, aber nur lose gebunden durch einen bereits etablierten Raum, eine eingeführte Person oder einen Gegenstand. Hinzu kommt noch eine ständige Suche nach den Hintergründen, nach dem Eigentlichen, dem Universellen, welches als Ursache alles Handeln und Sein bedingt. Dies scheint jeder Szene eine Bedeutung zu verleihen, die weit über die an sich belanglosen Dialoge und Handlungen hinausgeht.

Die Bühne ist voll!, Foto: Impro-News

Das Ganze funktioniert bei der Compagnie Combats Absurdes deswegen hervorragend, weil alle Szenen in einer enormen Intensität und Radikalität gespielt werden. Der Augenblick zählt, was eben noch war oder gleich sein wird, spielt nur eine untergeordnete Rolle!

Ein weiteres, für mich vollkommen neues Element im Improtheater war die Art, wie impro-untypisch verschwenderisch mit Requisiten umgegangen wurde. Wer das Ratibor-Theater kennt weiß, dass die Gorillas einen reichhaltigen Fundus an Requisiten aller Art zur Verfügung haben, den sie je nach Spielsituation einsetzen. Die Absurden Kombatanten aber trieben das Ganze auf die Spitze: Am Ende der Show stand die Bühne voll und die Requisitenkammer – mit Ausnahme der Kostüme – war vermutlich leer. Zusätzlich wurden noch ein großes Sofa und ein großer Stapel leerer Getränkekisten aus anderen Räumen des Theater in das Bühnenbild “verbaut”.

Noch sind die Äpfel ganz..., Foto: Impro-News

Als Beispiel für die Entschlossenheit der Spieler soll die Sache mit den Äpfeln dienen: Ein Spieler kam mit 3 Äpfeln auf der Hand, diese als Teetassen etablierend, in die Szene. Dort wurden sie in der Folge als Symbole für innere und äußere Zwänge des Menschen umgedeutet. In der Bestrebung, sich von eben diesen frei zu machen biss der betroffene Spieler wie wild in die Äpfel und spuckte die zerkaute Masse über den Bühnenboden, warf zwei der Äpfel mit aller Kraft auf den Boden, trampelte darin herum, steckte sich einige größere  Apfelteile wieder in den Mund und spie sie über seinen Mitspielern aus. Das Publikum hielt merklich den Atem an. Weniger animalisch aber ähnlich intensiv zogen immer neue Situationen und Dialoge die Zuschauer in ihren Bann, unterstützt von der hervorragenden Mimik den intensiven Beziehungen der Figuren. Mit dieser Aufführung katapultieren sich die Franzosen jedenfalls ganz deutlich in die Top 3 meiner persönlichen Hitliste von Improshows.

...hier schon zerkleinert auf dem Boden, Foto: Impro-News

Ich bin gespannt, wie sich die Festivalteilnehmer, die im Rahmen der Workshops eine Einführung in das Absurde Theater erhalten, am kommenden Wochenende (Freitag und Samstag jeweils in der Vagantenbühne) schlagen werden. Und ich kann kaum erwarten, bis jemand hier in Deutschland einen Impro-Kurs zu diesem Thema anbietet!