IMPRO 2011: Im Stile von Strindberg ist keine verkopfte Scheiße

von Claudia Hoppe:

August Strindberg
August Strindberg, Quelle: Wikimedia

Dank bei Impro-News.de gewonnener Freikarten hatte ich am Mittwoch-Abend das Vergnügen, mir die erste Strindberg-Aufführung des Festival-Ensembles in der Vagantenbühne anschauen zu dürfen. Zugegeben: Die Konkurrenz war mit Weibershow im Mehringhoftheater und Unexpected Productions im English Theatre Berlin an diesem Abend wirklich hart. Dementsprechend klein fiel die Zuschauerzahl aus: elf Zuschauer vor vs. neun Spieler auf der Bühne. Um so beeindruckter war ich davon, was dieses neun-köpfige Ensemble hier hingelegt hat! Im Stile von August Strindberg zauberten sie in der ersten Hälfte der Veranstaltung ein Drama auf’s Parkett, das aus Storytelling-Perspektive ein absolutes Meisterstück war! Titel: “The Fallen Apple” (der Titel kam in diesem Fall von mir 🙂 ). Im Folgenden möchte ich Euch eine Zusammenfassung des Stückes geben, soweit ich sie aus meiner Erinnerung rekapitulieren kann.

“The Fallen Apple”

Erste Szene: Eine Frau (sie wird in Kürze den Namen “Agneta” erhalten) sitzt auf der Bühne und schaut in die Ferne. Der Nachbar Johann-Erik kommt vorbei. Wir erfahren, dass Agneta offenbar längere Zeit in der Stadt gelebt hat und gerade zurück gekehrt ist. Es geht die Frage, wie es Adolf gehe (wir erfahren noch nicht, in welchem Verhältnis Agneta zu Adolf oder Johann-Erik steht). Adolf ist sehr krank. Abgang Johann-Erik.

Wir sehen Agneta kurz darauf mit dem Butler Sven, der allem Anschein nach Avancen für sie hegt. Die beiden kennen sich offenbar, seit Agneta ein Kind war und den Apfelbaum hoch geklettert ist. Sie betrachten den Apfelbaum. Sven zu Agneta: Ein Apfelbaum ist wie eine Frau – zuerst ist er klein und zart und muss beschützt werden vor Wind etc. Erst wenn er wächst, wird er stabil und schlägt Wurzeln und ist in der Lage, den Kräften der Natur zu trotzen.

In der nächsten Szene sehen wir Adolf, übel hustend, mit dem Nachbarn Johann-Erik. Sie sprechen über die Geschäfte. Adolf fragt Johann-Erik ober ihm Geld leihen könne – sehr viel Geld.

Adolfs Frau, Anna, kommt dazu. Von der Regie kommt die Anweisung, dass Johann-Erik und Anna flirten sollen. Adolf verlässt die beiden, um Johann-Eriks Hut zu holen, in dieser Zeit erfahren wir, dass Johann-Erik sich schon lange Hoffnungen auf Anna macht. Die beiden turteln ein wenig verlegen miteinander herum. Es wird der Doktor erwähnt und wie dieser Adolfs Gesundheitszustand beurteilt.

Wir erfahren auch, dass das Verhältnis zwischen Adolf und seiner Frau Anna kein besonders gutes ist. Die beiden leben nebeneinander her. Anna wünschte sich in der Vergangenheit offenbar mehr Zuneigung und Zärtlichkeit von Adolf. Adolf wünschte sich ein Kind von Anna, das diese ihm nie geboren hat. Stattdessen hat er alle seine Liebe auf seine Nichte Agneta (!) projiziert und in ihr offenbar das Kind gefunden, das Anna ihm nie gebären konnte.

In einer nächsten Szene sehen wir Adolf und den Doktor, sie reden über Adolfs Gesundheitszustand. Es sieht schlecht aus.

Anschließend sehen wir Adolf mit seinem Gärtner. Adolf möchte, dass der alte Apfelbaum gefällt wird, da er fast gänzlich abgestorben ist. Der Apfelbaum ist von innen vergiftet und trägt nur noch ganz wenige Früchte. Der Gärtner weigert sich, den Baum zu fällen. Der Apfelbaum hat große Bedeutung für Adolf, viele Erinnerungen hängen daran – speziell an Agneta, die hier als Kind hinauf geklettert ist.

Nächste Szene: In der Küche. Wir sehen den Koch und den Butler Sven. Sven macht sich ernsthaft Gedanken über den Gesundheitszustand von Adolf. Adolf ist ein guter Herr, erfahren wir. Der Gärtner stürmt hinein. Er ist sehr aufgebracht wegen der Fällung des Apfelbaums. Er erzählt Sven und dem Koch davon. Er meint, wenn der Herr den Apfelbaum fällen will, ist die Lage sehr ernst. Sven meint, der Herr würde vergiftet werden. Der Koch ist der Meinung, dass es gut ist, wenn Adolf stirbt, da die ganze Atmosphäre im Haus vergiftet sei. Genau wie der Baum muss Altes, Vergiftes weichen, um Platz für Neues, Nicht-Vergiftetes zu schaffen. Grund für die vergiftete Atmosphäre sei jedoch nicht Adolf selbst, sondern das Verhältnis zwischen ihm und seiner Frau. Und jetzt, wo Agneta aus der Stadt zurück gekehrt ist, sei alles noch schlimmer geworden, da der Herr seine Nichte doch über alles liebe. Wir als Zuschauer erfahren, dass Sven tatsächlich amuröses Interesse an Agneta hegt, und das nicht erst seit neuestem.

Szenenwechsel, oben im Haus. Anna höchst zynisch. Sie lädt Agneta und Adolf auf ein Kartenspiel ein. Fragt Sven herausfordernd, ob er zuschauen wolle, da das ganze Zusammenleben im Haus (und speziell zwischen den dreien) eh nur noch eine Farce sei. Im Zuge des Kartenspiels macht Anna Adolf jede Menge verbitterte Vorwürfe bezüglich ihres Zusammenlebens, dass er nie Interesse für sie gezeigt habe und seine Liebe immer nur auf Agneta fokussiert habe. Adolf kontert, dass Anna ihm schließlich nie ein Kind geschenkt und Agneta diese Rolle übernommen habe. Wir erfahren, dass Agneta eine Waise ist und offenbar als Baby / Kind von Adolf und Anna in den Haushalt aufgenommen wurde. Anna erwidert, dass es nie klar war, ob es wirklich an ihr lag, dass die beiden keine Kinder bekommen konnten, oder ob es nicht an Adolf gelegen habe. Agneta sitzt betreten da und sagt gar nichts. Immer wieder wird betont, wie ernst es um Adolfs Gesundheitszustand bestellt ist.

Anna und der Doktor im Garten im Mondschein. Der Doktor sagt, heute Nacht sei es soweit, Adolf werde sterben. Anna ist verwirrt und auch ein wenig bestürzt – wie könne der Doktor das so genau voraus sagen? Wir erfahren, dass es eigentlich der Doktor ist, der Adolf die ganze Zeit mit seiner Medizin vergiftet hat, denn auch der Doktor hegt Avancen für Anna. Heute Nacht soll Adolf die finale, tödliche Dosis erhalten.

In der Küche (Koch, Sven): Der Gärtner stürzt hinein. Er hat die Unterhaltung von Anna und dem Doktor im Garten mit angehört und ist in Panik. Er möchte nicht, dass sein Herr umgebracht wird. Klimax: Adolf, Agneta, Sven, Doktor: Adolf hustet unentwegt und verlangt nach seiner Medizin. Sven weigert sich, die Medizin zu bringen, traut sich jedoch nicht, in Anwesenheit von Agneta zu sagen, weshalb er sich weigert. Der Doktor sagt, Adolf muss die Medizin nehmen. Agneta drängt ebenfalls, die Medizin zu holen, da es Adolf sichtlich schlecht geht. Sven weigert sich, fleht Adolf an, die Medizin nicht zu nehmen. Agneta, in Panik um ihren geliebten Onkel, holt schließlich die Medizin und verabreicht sie Adolf, der daraufhin stirbt.

Anweisung der Regie: Eine Woche später. Johann-Erik und Anna am Strand. Sie sprechen über die Beerdigung. Johann-Erik erwähnt, dass Adolf Geldprobleme hatte und ihn vor seinem Tod um eine große Summe gebeten habe (Genial! Ich hatte mich schon gefragt, wo dieser Strang des Inhalts abgeblieben war). Dass nach Adolfs Tod an materiellen Gütern außer dem Haus nichts bleibe, und das Hause gehe vermutlich an Agneta (genial!!!). Er sagt Anna, dass seine Tür für sie immer offen stand und auch weiterhin offen stehe, sie jederzeit willkommen sei. Anna ist unsicher. Sie sagt, sie sei eine furchtbare Frau. Vergiftet. Wie könne Johann-Erik sie mögen. WAS kann er nur an ihr mögen? Er sagt, er mochte sie schon immer, genau wie sie war. Adolf habe ihr nicht gut getan, das Zusammenleben mit Adolf habe sie vergiftet. Sie zweifelt und fragt sich, ob sie nicht seit ihrer Geburt (“seit die Erde mich ausgespuckt hat”) vergiftet sei.

Johann-Erik erwidert: Selbst wenn sie vergiftet sei, sei es wie beim dem Apfel von Schneewittchen: Eine Seite ist vergiftet, die andere ist wunderschön und genießbar. Für ihn gibt es nur die genießbare Seite. Anna sagt, sie hofft, ihm in Zukunft nur die genießbare Seite zeigen zu können.

Ende.

Cast (in order of appearance):
Regie: Per Gottfredsson

Agneta: Elise Dano

Sven: Janne Berg

Johann-Erik: Thomas Chemnitz

Adolf: Juš Milčinski

Anna: Maja Dekleva

Doktor: Ivo Klvan

Gärtner: Marko Mayerl

Koch: Dave Morris

Die begeisternden Aspekte

Abgesehen davon, dass die meisten Figuren für meine Begriffe meisterhaft gespielt waren, war ich besonders von folgenden Aspekten der Aufführung begeistert:

1. Die Gegensätzlichkeit der beiden Frauen-Figuren – Agneta als die Gute, Junge, Schöne, Naive und Anna, die als ihre Ziehmutter verbittert, zynisch und vom Leben gezeichnet ist. Beide Spielerinnen haben ihre jeweilige Figur extrem glaubhaft verkörpert.

2. Dass wirklich jeder im Ensemble seine Rolle gefunden hat – einige Figuren (z.B. der Koch) waren nur kurz zu sehen und haben die Handlung inhaltlich vielleicht nicht viel voran gebracht, dafür aber die bereits existierende Geschichte sowie die anderen Figuren (auch die, die nicht auf der Bühne waren) weiter etabliert und “mit Sinn angereichert”.

3. Es gab keine losen Enden. Wer schon öfter Impro-Langformen gesehen hat weiß, dass die Spieler häufig mit dem Problem loser Enden zu kämpfen haben, und nicht alle Handlungsstränge am Ende sinnvoll miteinander verknüpfen können (einige geraten auch einfach in Vergessenheit). Das war hier nicht der Fall, insofern: Applaus schon allein dafür!

Den genialsten Coup finde ich jedoch, dass Agneta, die einzige im Haus, die offenbar nichts von der Verschwörung gegen Adolf wusste, letztendlich unabsichtlich diejenige ist, die Adolf die tödliche Dosis seiner “Medizin” verabreicht! Gescripted hätte man es nicht besser machen können!

Leider scheint die Aufführung nicht alle Zuschauer so beeindruckt zu haben, wie mich, denn vier der elf Zuschauer haben in der Pause das Theater verlassen (in der zweiten Hälfte wurden dann Szenen als Traumsequenzen gespielt).

Schlussendlich, was mich betrifft – ich hatte große Skepsis bezüglich “ernsthaftem” Impro-Theater – und ich muss nach wie vor sagen: als Zuschauer würde ich mir derlei Performances nicht wöchentlich anschauen, und als Spielerin bleibe ich vorerst auch dem heiteren Genre treu (das Leben ist schließlich ernst genug). Dennoch habe ich für mich gesehen, dass ernsthafte Impro-Performances durchaus keine “verkopfte Scheiße” sein müssen, sondern im Gegenteil, selbst in ihrer Dramatik von den Spielern elegant und locker flockig erzählt werden können. Nochmal ein großes Dankeschön dafür an Impro-News (meinen Kartensponsor, ohne den ich diese Vorstellung sicherlich nicht gesehen hätte) und das Festivalensemble für ihre grandiose Performance!

Thomas Jäkel
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One thought on “IMPRO 2011: Im Stile von Strindberg ist keine verkopfte Scheiße”

  1. Hi Claudia!
    Danke für den tollen Artikel. Ganz besonders freue ich mich, dass es dir trotz deiner anfänglichen Skepsis gegenüber dem Format so gut gefallen hat. Mir ging es auch so: bis man es nicht selber sieht, dass Improtheater auch anders sein kann und trotzdem Spaß macht, glaubt man es nicht. Vielleicht ist das ja genau der Weg, um der “Verkopften Scheiße” zu einem neuen Zugang zu verhelfen!

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