Theatersportspiele, aber richtig! – 2. Zettelspiel

von Stephan Holzapfel:

Beim Zettelspiel werden die Zuschauer vorher (z.B. in der Pause) gebeten, auf einen Zettel gut leserlich einen Satz zu schreiben. Diese Zettel werden auf die Bühne gelegt und während des Spiels von den Spielern aufgenommen, vorgelesen und die darauf stehenden Sätze ins Spiel eingebaut.

Das Spiel ist beim Publikum sehr beliebt, selbst wenn es nicht optimal gespielt wird. Es gewinnt aber deutlich bei guter Ausführung.

Sätze wirklich ernst nehmen

Das Wichtigste ist, dass die Spieler die Sätze wirklich ernst nehmen und möglichst überzeugend rechtfertigen, warum sie das gesagt haben bzw. sich wirklich davon treffen und berühren lassen, dass dieser Satz jetzt zu ihnen gesagt wurde. Eine Bemerkung wie „Was du nur immer für einen Unsinn redest“ sollte vermieden werden, da der Satz auf dem Zettel dann abgetan wird und es quasi egal ist, was gesagt wurde.

Die Spieler müssen sich deshalb für jeden Zettel Zeit lassen, um den Satz wirklich in die Szene integrieren zu können. Nicht jeder Satz wird eine gewichtige Rolle spielen können, manche dagegen sollten die Geschichte entscheidend verändern. Ein Streit, bei dem die Spieler sich einfach einen Zettel-Satz nach dem anderen an den Kopf werfen, wird seine Wirkung schnell verlieren.

Natürlich sollten regelmäßig Zettel aufgenommen werden, da das Publikum darauf wartet, aber weniger ist oft mehr.

Es funktioniert gut, wenn die Zettel-Sätze durch „Doppelpunkt-Ankündigungen“ eingeleitet werden, wie z.B.: „Was ich dir schon immer mal sagen wollte:“, „Ich denke gerade daran, was du mir gestern gesagt hast:“, „Du weißt, was mein Problem ist:“, „Seit ich 15 bin, habe ich folgendes Lebensmotto:“ usw.

Was weniger gut funktioniert sind Einleitungen wie „Ich habe das sichere Gefühl, dass…“ Der Satz auf dem Zettel wird dann grammatisch nicht zum Einleitungssatz passen.

Möglich ist auch, sich in Rage zu reden und auf dem Höhepunkt der Erregung dann den Zettel vorzulesen: „Es ist nicht zu fassen, absolut unglaublich, was hier passiert, ich halte es nicht mehr aus und außerdem: (Zettel-Satz)“

Kurze Sätze, deutlich vorlesen

Wichtig ist, dass man erst auf den Zettel guckt, wenn alle Einleitungsworte gefallen sind. Sobald man auf den Zettel blickt, wird der Satz darauf unmittelbar laut vorgelesen. Es muss ganz klar sein, welche Worte vom Schauspieler kommen und welche auf dem Zettel stehen, um den Effekt nicht zu verwässern.

Bittet man das Publikum nicht einfach nur um irgendeinen Satz, sondern um Sätze, die ein Mensch zu jemand anderem sagen kann, wird man mehr Sätze erhalten, die sich gut in eine Szene integrieren lassen. Abstraktere Sätze können natürlich auch ihren Reiz haben, man sollte das Publikum allerdings um kurze Sätze bitten, da solche Sätze stärker wirken und besser zu integrieren sind. Fühlt man sich mit Obszönitäten unwohl, sollte man das Publikum höflich bitten, solche Sätze nicht aufzuschreiben.

Eine vielleicht nicht perfekte, dennoch gelungen Version des Zettelspiels hier von den Verstörten Wunschkindern:

Zwackelmann

3 thoughts on “Theatersportspiele, aber richtig! – 2. Zettelspiel”

  1. Vielleicht ist es eine Geschmacksfrage: Ich finde es mutiger, wenn die Sätze ohne jede Einleitung gesprochen werden; denn die Einleitungen wirken oft wie ein Sicherheitsnetz. Doppelte Absicherung durch Einleitungen wie “Meine Mutter sagte immer…”
    Improtechnisch schöner, wenn der Satz direkt gesagt wird und der Partner sich daraufhin verändert und durch die Veränderung rechtfertigt.
    Die Szene von den V.W. und Dominik von der Sonntagsgruppe finde ich übrigens schön energetisch und gut gespielt.

  2. Ich stimme Dan zu: Allgemein wohl sinnvoll Sätze anzukündigen, auch um das Risiko zu erhöhen. Allerdings nervt mich das mittlerweile als Zuschauer, der halt schon 10 Mal das Zettelspiel gesehen hat, dass immer irgendwelche Mütter irgendwelche Weisheiten von sich gegeben haben. In einer normalen Nicht-Zettelspiel-Szene habe ich das noch NIE gehört. Sollten wir nicht versuchen, so selbstverständlich wie möglich zu reden?

    Früher liebte ich das Spiel, heute ist das Verhältnis eher ambivalent: Oft kommen überraschend passende Sätze – wie Magie. Oft aber auch totaler Nonsens den zu rechtfertigen zwar möglich ist, aber im Grunde nicht ehrlich. Und Sätze werden oft gerechtfertigt, aber danach wieder vergessen, sodass nach Zettel 6 allenfalls noch wichtig ist, was auf Zettel 5 gesagt wurde, aber alles davor gleichgültiger Gag o.ä. war, aber nicht der Story diente.

    Lösungsvorschlag habe ich keinen, aber Ideen: 1. Nie zwei Zettel hintereinander aufnehmen, also nie einen Zettel mit einem Anderen beantworten. 2. Nach einem prägnanten Spruch der gar nicht passt lieber die Szene beenden und damit die Absurdität groß machen (Ja klar, das war die Lösung für alles dass du in Wahrheit Luke Skywalker bist). 3. Was ich elegant finde: Schnitte und Erzähltechniken nutzen: In der Beispielszene hätte ich gerne Omas Blumengarten gesehen und auch gerne den Umzug der Figur nach Paderborn. So leitet der Zettel die Szene.

    Für den Umgang mit den üblichen Kack, Durchfall etc. Zetteln: Ich bin zunehmend der Meinung dass man nicht alles vorlesen muss, wenn es nicht passt und das auch nicht rechtfertigen braucht. Demonstrativ einen neuen Zettel zu nehmen kann auch genug Wirkung haben und ich glaube ehrlich gesagt, dass eher 75% der Zuschauer die primitiven Zettel nicht hören will. Höflichkeit ist gut, aber ich finde nicht dass man mit unhöflichen und infantilen Leuten im Publikum übertrieben schonend umgehen muss.

  3. Die Kernaussage Deiner Btrachtung lautet “richtig ernst nehmen”. Das ist für mich generell eine Zutat für richtig gutes Impro.
    Je ernster und überzeugender ein Spieler jeden noch so dummen Satz einbaut, desto witziger ist es für die Zuschauer.

    Gruss von McCoy

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    http://mccoyimpro.blog.de/

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