Interview mit Deniz Döhler dem Veranstalter des ImproBenefitzFestivals AuJa!

Am Freitag 2. April 2010 gibt es zum dritten Mal in Berlin das ImproBenefitzFestival AuJa zu gunsten autistischer Kinder. Impro-News.de sprach mit dem Iniziator Deniz Döhler.

IN: Das ImproBenifizFestival ist ja eine ganz persönliches Projekt von dir, wie kam es zu der Idee?

Deniz Döhler mit seinem Sohn Luka

Deniz Döhler: Ich selbst bin Vater eines autistischen Kindes. Bei meinem Sohn Luka (mittlerweile 5 Jahre alt) zeigte sich der Autismus so, dass er Z.B. nichts in den Mund nahm, und man konnte ihn nicht im Gesicht berühren.

Er spielte nicht wie andere Kinder, sondern ließ in stereotyper Art und Weise Objekte wie z.B. eine Schüssel stundenlang kreiseln. Noch mit 19 Monaten hatte er keinen Zugang zu Sprache (er verstand nichts, geschweige denn konnte er reden), er zeigte nicht auf Gegenstände, um etwas zu bekommen, sein Blickkontakt war unvollständig, er hatte kein Gefühl für
Gefahr. Als er 22 Monate alt war, bekam er die Diagnose „frühkindlichen autismus“, erst Mal als dringenden Verdacht, später dann vollständig.

Dann kam die Wende: Wir hörten von einem in Deutschland noch recht unbekannten Autismus-Programm aus den USA. Dieses wurde in den 70er-Jahren von Eltern für ihr damals autistisches Kind entwickelt. 3 Jahre lang arbeiteten sie intensiv mit ihrem Sohn, und im Laufe dieser Zeit verlor er seine autistischen Merkmale komplett. Dieses Kind, das im Rahmen seiner Diagnose mit einem IQ von unter 30 eingestuft wurde, dessen Eltern man anriet, „diesen hoffnungslosen Fall am besten in eine Institution einzuliefern“, besuchte im Erwachsenenalter eine Eliteuniversität und leitet heute das Autism Treatment Center of America.

Inzwischen wird Son-Rise® weltweit bei Kindern und Erwachsenen mit Autismus eingesetzt, zum Teil mit großen Erfolgen. Für uns war klar: Wir wollten unserem Kind auf der Basis der Son-Rise®-Prinzipien helfen, und so flog meine Frau Christiane im Januar 2007 zur ersten Fortbildungswoche für Eltern. Als sie von dort zurück kam sagte sie zu mir: Deniz, was die da machen ist 1 zu 1 Improtheater. Es geht immer um das Au Ja zum Kind. Und nach einiger Zeit wurde uns klar, wir müssen das mit ImprospielerInnen als Helfer machen.

Im Improtheater steht am Anfang auch immer ein „Au-ja“ – eine Akzeptanz der eigenen Ideen und denen des Spielpartners. Erst im zweiten Schritt kommt ein „Ja-und“ hinzu: Ich akzeptiere nicht nur die Ideen meines Mitspielers, sondern füge ihnen meine eigenen hinzu. Wie im Improtheater, so auch im Son-Rise® Programm. Hier steht am Anfang immer das „Au-ja“ zum Autismus des Kindes. Das Kind schaukelt z.B. stundenlang hin und her. Wir tun das dann auch, mit dem Kind gemeinsam. Akzeptierend, wertfrei und vom ganzen Herzen in einem extra fürs Kind angelegten „Ja-Raum“ bei sich zu Hause.
Zuerst zeigt uns das Kind den Weg in seine autistische Welt hinein (Au-ja), im 2. Schritt zeigen wir ihm den Weg hinaus in unsere Welt. (Ja-und). Die Brücke zwischen beiden Welten ist Liebe und Akzeptanz, ein Weg vieler kleiner Schritte, den wir mit Energie, Begeisterungsfähigkeit und Enthusiasmus (drei weiteren Grundprinzipien des Improtheaters) gemeinsam mit dem Kind gehen.

Nach über 12 Monaten Programm nach der Son-Rise®-Methode mit 10 ImprospielerInnen aus unseren Kursen und Workshopgruppen, von denen jeder durchschnittlich 4-6 Stunden pro Woche ehrenamtlich mit Luka im Rahmen des Programms bei uns zu Hause mithalf, hatte Luka dann:
– einen sehr guten Blickkontakt,
– er hatte das Kauen gelernt,
– er isst und trinkt selbstständig alles, was wir auch zu uns nehmen,
– putzte sich die Zähne und
– er begann, aufs Töpfchen zu gehen.
– Seine Körpergröße und sein Gewicht waren seit mehreren Monaten wieder altersgerecht.
Aber das Schönste war, dass unsere Kinderärztin seine Sprachentwicklung als altersgemäß eingestuft hat.

Unsere Kinderärztin und alle Helfer vom Jugendamt waren sich einig, dass das Programm für Luka ein Riesenerfolg ist und dass es weitergehen musste wie bisher. Leider wird dasProgramm bislang nicht von der Krankenkasse finanziert, da es als Therapie in Deutschland weder wissenschaftlich anerkannt ist, noch es in Deutschland ausgebildete Son-Rise®-Therapeuten gibt.

Bis dahin flog meine Frau regelmäßig in die USA zu Fortbildungen auf eigene Kosten und unsere finanziellen Reserven waren langsam aufgebraucht. Da kam mir die Idee eines Spendenbriefes an all meine Kollegen und Kursteilnehmer. Dieser Schritt verlangte von mir große Überwindung, aber ich wollte einfach das Beste für meinen Sohn und meine Familie. Und der Erfolg sprach für sich. Die Resonanz war so überwältigend positiv und eines Nachts wachte ich mit dieser Vision eines ImproBenefizFestivals auf, um nicht nur Luka, sondern auch anderen Kindern mit Autismus helfen zu können. Mit Der Hilfe von Mandy John von der Agentur systemcrash, Karin Mietke vom BühenRausch und den Improspielern Martin Schlicht und Fabian Böckhoff schickten wir die Geschichte meines Sohnes per Mail an alle Improgruppen der Welt. Mit dem Resultat dass über 54 Improgruppen international Benefiz Shows spielten oder Workshops gaben. Der Erlös wurde dem gemeinnützigen Verein Artists Meet Autism e.V., gespendet, den wir extra dafür ins Leben gerufen hatten. Mit Hilfe des Vereins konnten wir dann nicht nur Lukas Programm für 2 Jahre 100% absichern, sondern auch noch eine Familie in Hamburg und Dortmund finanziell und mit Know How bei ihrem Son-Rise Programm unterstützen. Und noch diesen Sommer kommt ein weiteres Kind in Berlin hinzu.

IN: Wer beteiligt sich am diesjährigen Festival? Sind dies alles Freunde oder reicht der Kreis weiter?

Deniz Döhler: In diesem Jahr sind es vor allem Mitglieder aus Improgruppen, die mit uns im Alltag, also durch das Luka Programm stark verbunden sind, wie z.B. Steffie Winny von Foxy Freestyle, die seit knapp einem Jahr SpielerIn mit Luka im Programm ist. Oder Impro-Gruppen , die ich als Impro-Trainer gerade coache, wie Das Improtheater der Generationen oder in der Vergangenheit gecoacht habe, z.B die Unverhofften, Peperonis, Paternoster etc., aus den Zwischenzeitlich auch immer Mal wieder welche mit Luka im Programm gespielt hatten.

IN: Was wird es auf dem diesjährigen Festival zu sehen und zu hören geben?

Deniz Döhler: Es gibt eine klassiche Impro-Show mit dem Improtheater der Generationen, ein interkulturelles Jugendtheaterstück entstanden aus modellierter Improvisation und die Unverhofften spielen ihre Improlangform Superheroes – nie waren Helden nötiger. Musikalisch begleitet von Gunar Seitz an der Gitarre und Sigrun Paschke am E-Piano. Die Improspielerin und Autorin Linda Poloyni und ich schreiben seit einem Jahr an einem Buch über Luka, sein Programm und die Verbindung zum Improtheater. Und wir werden ein Kapitel daraus vorlesen. Seit dem 1. ImproBenefizFestival Au Ja! im Jahre 2008 begleitet uns der Filmemacher Ulli Jossner und er wird eine Kostprobe aus seinem Dokumentarfilm mit dem Titel “Au Ja- Leben mit autistischem Kind” zeigen. In den Pausen gibt es eine Benefiz Büffet, eine Tombula Verlosung, bei der man Freikarten für Shows von Foxy Freestyle, Paternoster, den Perperonis, den Unverhofften, Improkurse und Workshops gewinnen kann.

IN: Das Festival findet dieses Jahr an einem andern Ort statt, warum?

Denzi Döhler: Im 1. Jahr hatten wir das große Glück, mit Mandy John und ihrer Agentur Sytemcrash, dem Büro von Paternoster, als auch durch die Improspieler Fabian Böckhoff und Martin Schlicht ein Team gehabt zu haben, das sich rund um die Uhr ehrenamtlich mehrere Monate um die Organisation des Festivals gekümmert hatte. Für 2009 hatten wir niemanden mehr ehrenamtlich hierfür gewinnen können, obwohl der allgemeine Zuspruch nach wie vor positiv war, also übernahm ich alleine die Organisation. Für dieses Festival 2010 nahm ich mir vor, es nur so anzugehen, wie ich es auch energetisch leisten und mit Freude und Leichtigkeit organisieren konnte. Nur ein Ort und die oben aufgeführten Gruppen konnte ich logistisch und organisatorisch gut tragen, ohne dass mein Familienleben oder das Pogramm von Luka darunter zu leiden hatten.

Für 2011 würden wir natürlich wieder was Internationales in mehreren Städten gleichzeitig machen wollen. Aus Erfahrung weiß ich aber nun jetzt, dass das ein Vollzeitjob werden kann. Wenn sich also eine Agentur oder Gruppe angesprochen fühlt und bei die Organisation 2011 ehrenamtlich mit helfen möchte, dann nehme man doch bitte mit mir Kontakt auf.

IN: Wird Luka vor Ort sein oder ist es zuviel Trubel für ihn?

Denzi Döhler: Im letztem Jahr war er mit dabei, weil er wollte. Krönendes Moment: der 4-jährige Luka betritt unter tosendem Applaus des Publikums zusammen mit einem Dutzend seiner ehrenamtlichen HelferInnen die Bühne. Er strahlt, lächelt in die Menge und stiehlt allen die Show mit den Sätzen: „Papa hat ein Mikrofon in der Hand, Papa soll mal weiter arbeiten!“.  2 Jahre Kind-zentriertes Autismusprogramm nach der Son-Rise-Methode® hatten dies möglich gemacht. Ich habe ihn erst vorhin gefragt, ob er wieder kommen möchte und er hat Ja gesagt. Auf die Frage, warum? Ich möchte Maxi wieder sehen. Maxi ist auch Improspielerin und war letzes Jahr sowohl im Programm als auch auf der Bühne mit dabei. Das Tolle an seiner Antwort für mich: Seine Motivation da hinzugehen ist nicht wie noch vor ein paar Jahren, weil es dort ein Diskokugel gibt und die sich dreht und glitzert (was auch O.K. wäre, keine Wertung , sondern auch ein Au Ja hierfür), sondern weil es dort einen Menschen gibt, mit dem er eine Beziehung aufgebaut hat, den er wieder sehen und mit dem er spielen möchte.

Für Autisten ist das das Hauptproblem: Die sozialen Fähigkeiten, insbesondere Freundschaften ein zu gehen, aufzubauen, zu erhalten und zu pflegen. Für mich ist das der Wahnsinn, dass er nun die Menschen seinen stereotypen Verhaltenswiesen oder seinen Objekten vorzieht. Das war und ist Ziel des Programms von Anfang an gewesen. Ob man das auch kriegt ist eine andere Sache. Die Freude liegt im Versuchen.

IN: Wie kann man das Projekt unterstützen?

Denzi Döhler: Das persönlichste Geschenk wäre es als ehrenamtlicher Helfer für Luka oder einem anderen Kind mit Autismus im Programm zu spielen. Speziell für Luka suchen wir auch gerade Eltern mit Kindern in Lukas Alter – er ist jetzt fünf Jahre alt – , die 1-2 Mal die Woche mit ihrem Kind zu uns spielen kommen würden. Luka spielt nämlich nun schon mit Gleichaltrigen, ohne dass es ihn überfordert.

Ein paar Highliths, wie Leute selbst kreativ geworden sind und den Verein
unterstützt haben: Auf seiner Geburtsparty oder anderen Feier eine kleine
Improvorstellung für oder mit Freunden spielen und im Anschluss einen Hut
rumgehen lassen oder in der Karokebar feiern und einen Hut für den Verein rumgehen lassen. Einen Gutschein für ein Mal Kochen, im Haushalt helfen, einkaufen etc. an eine der Familien, die ein zeitintensives zu-Hause-Programm für ihr Kind betreiben, verschenken. Sachspeneden (Spielzeuge – keine elektronischen bitte -, Malstifte etc.) Bei einer Improaufführung für den Verein werben und den Hut rumgehen lassen. Einige Improspieler und andere Künstler spenden 10% eines Gigs oder sogar ihrer Jahresgage dem Verein. Wer in einer Firma oder einem Unternehmen arbeitet: den Verein für jährliche Steuereinsparungen in Form von Spendengeldern vorschlagen.
Der Phantasie und Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.

Das Nahe liegenste ist natürlich, zur Veranstaltung zu kommen, selbst wenn
auch nur kurz , und etwas zu spenden beim Eintritt, oder durch Verzehr des
Benfitzbüffets oder Kauf eines Benfizloses beizutragen.
Natürlich kann man auch direkt auf das Vereinskonto spenden:
Artists Meet Autism e.V.
Kto: 107 22 00
BlZ: 100 205 00
Bank für Sozialwirtschaft

IN: Es findet derzeit noch ein großes Improfestival in Berlin statt, war die Überschneidung beabsichtigt?

Denzi Döhler: Nein. Der 2. April ist offiziell der weltweite Autismustag. Und der Monat April der so genannte Autism Awareness Month. Als wir das 1. ImproBenefizFestival 2008 im Juni veranstalteten wussten wir das noch nicht. Wir sind damals Hals über Kopf da hineingeschlittert, denn mit soviel
Unterstützung international hatten wir in unseren kühnsten Träumen nicht
gerechnet. Es war uns wichtig, es 2009 am weltweiten Autismustag stattfinden zu lassen und wir haben uns auch trotz des Karfreitages in diesem Jahr erneut dafür entschieden. Denn auf der ganzen Welt wird an diesem Tag wieder besonders in den Medien (in Deutschland leider noch nicht so sehr) darauf aufmerksam gemacht, dass es Autismus gibt und dass über kurz oder lang jeder irgendwie jemand kennt, der mit Autismus in Berührung gekommen ist oder mit ihm lebt. Es ist ein unglaublich aufbauendes Gefühl für uns als Eltern eines autistischen Kindes, mit den vielen anderen Eltern, Familienmitglieder, Freunden, Bekannten und natürlich HelferInnen von Menschen mit Autismus gemeinsam am selben Tag unsere Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu richten und es mit allen zu teilen. Und natürlich voneinander zu lernen und sich inspirieren zu lassen.

IN: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg beim heutigen  Festival!

Thomas Jäkel
Follow