Lukas in China #2 – Warum Impro ein Importgut ist

Lukas Maier ist Komponist, Pianist und Impromusiker in München, spielt unter anderem für fastfood theater und Bühnenpolka und war Anfang 2017 für über 3 Wochen in China unterwegs. In seinem exklusiven Reisebericht für Impro News erzählt er über seine Erlebnisse mit der Improtheaterszene im Reich der Mitte.

Lukas Maier und Tobias Neufeld in der Verbotenen Stadt
Lukas Maier und Tobias Neufeld in der Verbotenen Stadt

Mein Freund Tobias und ich waren im Februar 2017 etwas länger als drei Wochen in China unterwegs. Davon zweimal ein paar Tage in Suzhou, eine ganze Woche in Peking, dazwischen eine Nacht in Schanghai und am Ende für vier Nächte in Hongkong. Ich durfte zusammen mit Sarah Hübner drei Workshops in Suzhou geben, darunter zwei für Channel 21 und einen Schülerworkshop für theaterinteressierte Jugendliche. Die Dauer dieser gemeinsamen Probeneinheiten waren jeweils drei bis vier Stunden mit kurzer Pause. Am letzten Abend bevor wir weiter nach Hongkong reisten gab es eine Channel 21 Show mit meiner musikalischen Unterstützung und anschließender spontaner Jam-Session für Interessierte.

In Peking war ich in einer zweistündigen Probe der Gruppe Beijing Improv zu Gast, die mich kurzerhand für ihre darauffolgende Samstagsshow als Gastmusiker einlud. Auch in Schanghai, Hongkong und weiteren Städten gibt es Improgruppen. Sowohl Sarah als auch die Pekinger Kolleginnen und Kollegen hätten in der überschaubaren chinesischen Szene um ein Leichtes den Kontakt zu diesen Ensembles herstellen können. Da wir aber in beiden Städten einen vergleichsweise kurzen Aufenthalt unter der Woche hatten, gab es leider wenig zeitliche Überschneidung mit Proben oder anderen Veranstaltungen.

Impro als Import

Ein wichtiger Aspekt erschien mir noch folgender zu sein: In China Impro zu spielen bedeutete nicht zwangsläufig mit Chinesen Impro zu spielen. Sowohl in Peking als auch Suzhou war der Anteil der chinesischen Mitglieder teilweise überraschend gering. Geleitet wurden diese Gruppen von westlichen Spielern, die meistens die Theaterform in das Land importiert, die Ensembles gegründet und auch die Rolle der Gruppenleitung übernommen hatten. So boten die verschiedenen Gruppen mit Mitgliedern aus den USA, Kanada, Deutschland, Ungarn, England, Indien oder Österreich eine erfrischende Vielfalt und Heterogenität.

Show Plakat Souzshou
Show Plakat Souzshou

Die Chinesen, die sich für Improvisationstheater begeisterten, waren nicht nur, aber oft im westlichen Ausland aufgewachsen oder zu Studienzwecken oder aus beruflichen Gründen für einen längeren Zeitraum in Europa oder den Staaten gewesen. Dies könnte der sprachlichen Barriere geschuldet sein, da ich natürlich nur mit englischsprachigen Gruppen in Kontakt treten konnte. Es gab aber auch einige rein chinesisch-sprechende Impro-Gruppen sowie bilinguale Konstellationen.

Improvisationstheater, so wie ich es in China erfahren durfte, wurde also größtenteils von westlichen Immigranten und von Chinesen, die damit häufig im Ausland in Kontakt gekommen sind, ausgeübt. Es schien mir aber irgendwie erwartbar, dass es einerseits noch Neuland für China als aufstrebende und wirtschaftlich ehrgeizige Nation sein könnte, statt nach Lehrplan oder Vorschrift einem Impuls oder einer Intuition zu folgen. Andererseits hatte ich oftmals den Eindruck, dass sich auch in der allgemeinen Weltanschauung und Denkweise vor Ort Ursachen finden lassen könnten, weshalb ihnen Improvisation weniger bekannt und vertraut war als uns im Westen.
Die chinesische Mentalität, die ich erlebte, beruhte weitestgehend auf Pflichtbewusstsein, auf Fleiß und auf Besonnenheit. Familiärer Zusammenhalt spielte eine große Rolle sowie ein im Sinne der Allgemeinheit bevorzugt zurückhaltendes Auftreten. Unterordnung für die Gruppe schien Priorität vor der Einforderung eigener Bedürfnisse zu haben. Kollektivität statt Individualität. Konformität statt Ecken und Kanten.

In nebliger Gemütsverfassung bunt gekleidet

Die Massen an Chinesen, die uns in Großstädten nahezu ständig umgaben, kamen mir oftmals irgendwie unwirklich vor. Immer wieder empfand ich paradoxerweise ein Gefühl der Leere oder Verlorenheit, als ich durch die überfüllten Straßen chinesischer Metropolen lief. Neben des nahezu unumgänglichen Smogs schien mir auch so etwas wie eine graues Seelenklima oder eine neblige Gemütsverfassung in der Luft zu liegen. Als würden diese abermillionen verschiedenen Menschen auf absonderliche Weise eine Art Farblosigkeit oder Gleichgültigkeit auf mich ausstrahlen. Und das, obwohl ich niemals in einem Land war, in dem Leute bunter oder „trashiger“ gekleidet waren.

Aus allen Himmelsrichtungen überraschten uns schrille und gewagte Outfits, angefangen von der leoparden-gemusterten Bluse über die glitzernde Zebra-Leggings bis hin zum neonpinken Plüsch-Pyjama. Gerne auch alles in Kombination. Durchaus möglich, dass man also sogar im fernen Osten in Faschingsstimmung verfällt, obwohl wir gehofft hatten ihn diesen Februar zu umgehen. Sie selbst hielten sich dabei natürlich keineswegs für kostümiert, selbst wenn sie eine flauschige Panda-Mütze trugen oder sich blinkende Hasen-Ohren in die Haare steckten. Sie wertschätzten eine gelungene Kleiderwahl des Gegenübers so wie wir die neue Jeans des Arbeitskollegen würdigen. Und trotz dieses skurrilen Auftretens wirkten sie auf mich in ihrer Farbenpracht irgendwie ernüchternd blass.

Als sehr störend und unangenehm nahm ich persönlich den Zustand der permanenten Überwachung wahr. Unzählige Kameras vermittelten den Eindruck, es gäbe in diesem Land keinen einzigen Quadratmeter, der nicht videoüberwacht wurde. Faszinierend und erschreckend, wie schnell man sich allerdings an diesen Umstand gewöhnte oder sich zumindest aus Mangel an Alternativen damit arrangierte.

Wird fortgesetzt…

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Die Redaktion