IMPRO 2016: Meta Impro macht Impro über Impro

von Sören Boller:

Internationales Festival Impro 2016 BerlinBERLIN – Nach einem Jahr Pause kehrt am 18. März 2016 das Format „Meta Impro“ in den Festivalspielplan zurück. In diesem Format wird keine Improshow, wie wir sie kennen, gespielt. Vielmehr wird über Improtheater und Improvisateure selbst improvisiert. Dabei entstehen keine szenischen Geschichten, sondern gesteuerte Interviews. Dass die Show in diesem Jahr wieder im Programm auftauchte, ist weder verwunderlich, noch zufällig, endete doch die Show vor zwei Jahren während des finalen Ausfadens mit Inbal Loris Worten „It is political!“. Die Fortsetzung in diesem Jahr drängt sich also praktisch auf.

Andere Form – anderer Inhalt

Bereits der Bühnenaufbau offenbart den speziellen Charakter der Show. Im Zentrum der Bühne steht ein Mikrofon. Jeweils versetzt und einen halber Meter weiter hinten stehen zwei Stühle, ebenfalls mit Mikrofonen ausgestattet und am Bühnenrand, wie gewohnt, die Installation aus Keyboard und weiteren technischen Equipment für einen Musiker. Die Anordnung erinnert an ein bevorstehendes Kreuzverhör. Für ein szenisches Spiel ist erstmal kein Raum auf der Bühne vorgesehen.

Das von Maja Dekleva entwickelte Format kam in diesem Jahr ohne sie selbst – zumindest auf der Bühne – aus und so betraten, wie angekündigt, die vielen BerlinerInnen bestens bekannten SpielerInnen Lee White, Inbal Lori, Gilly Alfeo und Rama Nicholas die Bühne. Dabei nahm als erste Rama Nicholas ihren Platz am zentralen Mikrofon ein. Die erste Frage war ein Fingerzeig für den weiteren Verlauf des Abends: „Haben Männer manchmal vor dir – als starke Improspielerin – Angst?“.

Ernste und persönliche Fragen, die ehrlich beantwortet wurden. Zusätzlich zu den Fragen gaben die drei „verhörenden“ SpielerInnen auch Regieanweisungen in das Gespräch, um z.B. die Emotion zu verstärken, bestimmte Mimiken zu vergrößern, in einer bestimmten Rolle zu sprechen oder so zu sprechen, als würde man mit sich selbst eine Ein-Wort-Geschichte erzählen. Durch die Verstärkungen und Verfremdungen stieg die Unterhaltsamkeit der Antworten enorm. Die Komik lebte hier vom Zusammenspiel der Ehrlichkeit, der Wahrhaftigkeit der dargestellten Emotion und der auf der anderen Seite klaren Übertreibung. Kam aber auch nur das Gefühl auf, dass eine SpielerIn nicht ehrlich antwortete, wurden die Stilmittel wieder reduziert und wir konnten ganz klar nur den Menschen erkennen.

Persönliche Bekenntnisse

Durch die Fragen, die sich sowohl um die Improvisation als auch um die Menschen drehte, wurde es zu einem Abend, an dem die SpielerInnen ihre Geheimnisse, ihre Weisheiten und ihre Ansichten über ihre Kunst, aber auch ein Stück von sich preisgaben. Rama Nicholas erzählte davon, für wie wichtig sie Liebesszenen auf der Bühne hält und gab gleich noch ein paar Tipps für diejenigen mit, die sich nicht trauen diese zu spielen: 1. nimm Augenkontakt auf, 2. lies die Körpersprache und 3. wenn dein Gegenüber noch nicht bereit ist, geh einen Schritt zurück.

Lee White offenbarte uns einerseits, dass für Ihn auf der Bühne das gleiche gelte, wie neben der Bühne: Es gefällt ihm Dinge zu tun, auf die er Lust hat. Deswegen mag er keine Formate, bei denen die Regeln ihm vorschrieben, was er als nächstes zu tun hätte, sondern diejenigen, bei denen er überhaupt keine Ahnung hat, was als nächstes passiert. Eine Lektion, die Lee selbst einmal lernen musste, formulierte er mit „Never stick your dick in improv“. Wir wissen wohl alle, was damit gemeint ist.

Von Gilly Alfeo erfuhren wir über seine Position, die sich irgendwie immer zwischen den Stühlen befindet. Durch seinen italienischen Vater stand er immer schon zwischen zwei Kulturen und als Impromusiker und -spieler ist er ebenfalls niemals Fisch oder Fleisch. Er erfüllt einfach beides und befindet sich damit in der Schnittmenge. Auch wenn wir das heimlich natürlich alle schon wussten, noch eine ermutigende Lektion von Gilly: Impro macht aus ihm einen besseren Vater!

Inbal Lori ließ das Publikum daran teilhaben, dass sie es als Frau oftmals nicht einfach auf und neben der Bühne hat. Manche Männer würden bspw. mit ihr nur Szenen spielen, die sie auf ihr Rollenbild reduzieren. Aber auch im privaten, so berichtete Inbal, würden viele Menschen sie als (geniale) Improspielerin kennenlernen wollen, was aber eben abseits der Bühne nicht möglich sei, denn dort ist sie auch nur ein ganz normaler Mensch. Doch genau dafür war diese Show, dieser wundervolle Abend gut: Wir konnten die SpielerInnen als Mensch und als Spieler ein Stück näher kennenlernen. Vom ersten bis zum letzten Moment war dieser Abend ein Balanceakt zwischen der Leichtigkeit des Spiels, der Schwere der Bedeutsamkeit und der Schwäche der Ehrlichkeit. Wer die Spieler noch nicht kannte, der musste sich spätestens an diesem Abend in alle vier gleichzeitig verlieben.

Meta macht´s politisch

Meta Impro hat aber auch noch etwas anderes in mir bewegt. Zu der schon bei der nachmittäglichen Podiumsdiskussion aufkommenden Frage, was eigentlich „politisch“ sei, hat dieser Abend einen wichtigen Aspekt hinzugefügt. All zu oft verwechseln wir, wenn wir von einem persönlichen Schicksal ergriffen oder emotional auf die Seite einer Person gezogen werden oder wir ein emphatisches Verständnis davon gewinnen, wie es jemandem geht, dass hier gerade etwas Politisches geschieht. Politisch bedeutet für mich viel mehr, dass hier Konflikte und Interessen von Gruppen und Einzelpersonen repräsentiert, verhandelt und möglicherweise auch entschieden werden und zwar mit einem generellen Anspruch etwas Allgemeingültiges zu produzieren. Improtheater kann in jedem Fall das erstere: Empathie, persönliche Betroffenheit und Mitgefühl erzeugen. Bisher wird leider wenig daraus von gesellschaftlicher Relevanz extrahiert, was über dem Persönlichen und Individuellen steht. Meta Impro ist ein Format, welches es schafft, diese beiden Ebenen auf wertvolle Art und Weise miteinander zu verknüpfen: Wir hören eine Meinung, den Werdegang, die Position oder einfach die Aussage einer Einzelperson. Aber zu einem generellen Thema. Wie steht es um die Frage der Geschlechtergerechtigkeit, welche Unterschiede gibt es hier in verschiedenen Gesellschaften? Wie und mit welchen Werten sollten wir unsere Kinder erziehen? Mit welcher Funktionsweise funktioniert Ausgrenzung, welcher Illusion erliegen wir regelmäßig durch Glorifizierung von Heldenfiguren und welche Probleme entstehen für uns, wenn sich die Sphären von Beruf und Privatleben vermischen?

Ein mitreißender Abend, der genau das zu bieten vermochte, was wir und das Festival gerade gebraucht hatten. Leider musste sich am Ende des Abends Lee´s größte Angst bewahrheiten, dass diese Show irgendwann zu Ende geht. Das einzige, was es zu kritisieren gibt, ist dass dieser Abend, obwohl er keineswegs zu kurz war, viel zu schnell vorüberging.

Thomas Jäkel
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