Amsterdam Improfestival – Anachronistisch, Abgebildet, Angelegt

switch to english versionvon Thomas Jäkel und macro:

AMSTERDAM- Der Freitag (30.01.2015) in Amsterdam stand im Zeichen des Jubiläums und lieferte unfreiwillig Einblicke in die Entwicklung von Impro. Er bot aber auch Neues und experimentelles – ein Festivaltag voller Unterschiedlichkeiten.

Die alten Zeiten in der Festival Anniversary Show

Zwanzig Jahre Festival kann man nicht ohne eine Geburtstagsshow begehen! Um diese zu feieren, luden sich die Organisatoren von IMPRO Amsterdam den Gründer des Festivals André Bessling ein, um als Gastgeber dieser Geburtstagsshow zu fungieren.

Amsterdam Festival Anniversary Show - Bierdeckel

In den Anfängen war das Festival stark auf Theatersport ausgerichtet, weil diese Form Anfang der 90er Jahre die Improlandschaft in Amsterdam dominierte. Somit gab es auch zum ersten Mal in all den Showabenden eine Erwärmung mit dem Publikum, in dem André Bessling Aus-einem-Mund-Sprechen mit den 250 Zuschauern initierte, was interessant war. Danach gab er einen Einblick in die Entstehung des Festvials, beispielsweise, dass die ersten Ideen in einer Bar auf einem Bierdeckel niedergeschrieben wurden. Diesen Bierdeckel zeigte er und ließ das Geschehen nachspielen.

So schritt die Show voran und die Zuschauer bekamen dargestellt, wie andere Länder Impro spielten oder auch was für absonderliche Games in der Zeit auf dem Festival vorgestellt wurden: Barfuß mußte das Festivalensemble das Game “Mausefalle” spielen, in dem die Spieler mit geschlossenen Augen eine Szene improvisieren, in der gespannte Mausefallen auf dem Boden liegen. Die Zuschauerreaktionen waren enorm, wenn ein Zeh einer Falle nahe kam – inhaltlich braucht aber zu dieser Szene nichts gesagt zu werden.

Amsterdam Festival Anniversary Show - Mausefalle

Und das war leider das Problem dieser Show. Die Spieler*innen schienen verkrampft und von den Vorgaben uninspiriert. Die Moderation bot wenig Hilfe, es fehlte sichtbar der Kontakt. Lediglich in einigen Momenten, in denen sie sich lösen konnten, fanden sie zum Glanz und der Spielfreude der letzten Tage zurück. Improtheater hat sich weiterentwickelt und die Jubiläumsshow zeigte, wie gut das ist. Die Diskussionen der letzten Tage auf dem Festival gingen nicht um Games und deren Variationen, sondern es wurde über Schauspielkunst, Inhalte und Kommunikation mit dem Publikum gesprochen. Und auch das zeigte diese Show, IMPRO Amsterdam hat es verstanden sich weiterzuentwickeln. Alles Gute und bitte weiter so!

Click – wenn Bilder 1000 Worte sagen

Mit Click bot das IMPRO Amsterdam Festival auch eine Weltpremiere. Inbal Lori (Israel) und Tim Orr (USA) bespielten als Vorgaben Fotos, die ihnen das Publikum zugeschickt hatte. Doch bevor das Publikum durch lautes Rufen das erste Bild aus den 30 Einsendungen auswählen durfte, forderten Inbal und Tim zum Schwur auf. Sie ließen schwören, dass niemand sie für etwaige missfallende Interpretationen der Fotos verantwortlich machen würde.

Click - Inbal Lori and Tim Orr

Und dann Click! Das erste Foto erschien auf der Leinwand, zeigte ein frittierte Leckerei von FEBO, einem Automatenschnellimbis und los ging es. Die beiden verstanden es schnell und gradlinig in die Szenen einzusteigen. Sie variierten zwischen Bewegung in starker Körperlichkeit, schnellem Schlagabtausch mit Worten bis hin zu Gesang und atmosphärischem Spiel. Die Szenen waren tendenziell kurz und an der ein oder anderen Stelle wünschte man sich mehr zu sehen, besonders da sie es immer wieder verstanden dem Publikum das Herz zu öffnen.

Die visuelle Ebene der Bilder war sehr bereichernd. Manchmal blieben sie als Hintergrund stehen oder wurden gleich zum Beginn der Szene wieder ausgeblendet. Ob es dahinter eine Idee gab, erschloss sich nicht endgültig, hier aber noch weiter zu experimentieren, ist sicher lohnenswert. Mit diesen beiden Improvisieren, die sich so auf freie Formen verstehen, war Click ein improvisierter visueller Genuss.

Click - Inbal Lori and Tim Orr

Teilgescriptet und stark gespielt mit Nachtgasten

Mit Nachtgasten aus den Niederlanden wurde ein etwas anderer Improtheater-Ansatz vorgestellt. Hier wird ein Geschichtenanfang von einem Autor vorgeschrieben und die Information asynchron an die Spieler weitergegeben. Der Autor dieses Abends – Koen Wouterse – las den drei bis dahin ahnungslosen Schauspieler*innen Oren Schrijver, Jette Carolijn van den Berg und Niels Croiset und den Zuschauern einen ersten gemeinsamen Teil der Geschichte vor. Dann wurden jeweils zwei Akteure nach draußen gebeten und dem verbleibenden Schauspieler weitere Einzelheiten zu seiner Figur verraten.

Dem Briefing vorangestellt war noch eine Erläuterung der Regeln, die sich Nachgasten selbst auferlegen. So ist darunter z.B. das kein Schritt zu wiederholen ist. Das meint, betritt ein*e Akteur*in eine Szene traurig, darf sie/er keine andere Szene traurig beginnen. Eine weitere Regel besagt, das jede Reaktion des Publikums und gegebenenfalls Hilfe durch Zwischenrufe zu ignorieren ist – das Stück passiert nur im Bühnenbereich.

Nachtgasten

Die Geschichte des Abends war ein heftiges Drama, das Scheitern jeder Person war nicht verhinderbar. Zwei Brüder, einer 5 Jahre im Krieg verschollen, der andere nun mit der langjährigen Freundin seines Bruders verheiratet – das war der Teil den alle wussten. Die nur einzeln verteilten Informationen waren unter anderem, dass die Jetzt-Ehefrau Schwanger ist und in der Ehe unglücklich – sie liebt immer noch den wieder aufgetauchten Bruder. Der dritte Bruder, der gerade im Krieg gefallen ist, wurde vom Ältesten erschossen während eine Amoklaufes unter Kindern und muß ins Gefängnis, sobald das herauskommt. In dieser Härte ist das Verkörpern solcher Extremsituationen eine Riesenaufgabe.

Die Umsetzung war ausgesprochen stark. Jeder der drei Figuren brachte auf Anhieb die Gebrochenheit sichtbar und wahrhaftig auf die Bühne. Es wurde hauptsächlich in Zweierszenen gespielt, kurze Szenen mit allen wurden schnell wieder zu Zweiersituationen aufgelöst – erst das Finale spielten dann alle drei. Sie nutzten sehr schön Raum und Bühnenbild. Der Abstand der Figuren verdeutlichte die gefühlte Verbundenheit. Das Chaos und der Schrecken der Ereignisse war auch in kleinen Details spürbar. Der Vorteil, das sich die Spieler nicht um das Entwickeln der Story kümmern mussten ergab eine große Steigerung auf die schauspielerische Intensität, die auch bei den großen Improspieler*innen selten zu finden ist. Chapeau.

macro
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