IMPRO 2014: Fassbinder & Romantic Comedy – die menschliche Seele aus zwei unterschiedlichen Perspektiven

Impro 2014von Claudia Hoppe:

BERLIN – Am Abend des 25. März 2014 fanden sich im Rahmen der IMPRO 2014 etwa 15 Festival-Spieler im Kreuzberger Ratibor-Theater ein, um zwei improvisierte Formate auf die Bühne zu bringen, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können: In der ersten Hälfte wurde ein Kammerspiel im Stile Fassbinders gezeigt, in der zweiten Hälfte eines der beliebtesten Hollywood-Genres: Die Romantische Komödie. Das Format “Romantic Comedy” wurde auch in einem Artikel von Stephan Holzapfel ausführlich beschrieben. Stephan hatte das Glück, das Format an beiden Abenden anzuschauen, um sich so ein noch umfassenderes Bild machen zu können.

Fassbinder – Depressive Menschen und Tapetenhemden

Die beiden Motto-Formate „Fassbinder“ und „Romantic Comedy“ hätten gegensätzlicher kaum sein können. Ich möchte sagen, dass diese Genres aus komplett konträren Seiten auf das menschliche Wesens blicken: Während Fassbinder die niedrigen Triebe, das Egoistische, Abgeklärte und Fatalistische seiner Figuren in den Mittelpunkt rückt, bei denen Momente der Menschlichkeit, der Güte und der Weichheit die Ausnahme bilden, ist das Menschenbild in der „Romantic Comedy“ durchgängig positiv und davon geprägt, dass (positive) Veränderung und das Finden von Glück grundsätzlich möglich sind. Dunkle Seiten haben die Figuren in der Romantischen Komödie kaum, und wenn, dann sind sie stereotyp, und nicht so allgegenwärtig und unter die Haut gehend wie bei Fassbinder.

Im Stile von Fassbinder
Karin Werner, Karin Krug

Darum hat mich das fünfköpfige Ensemble der Fassbinder-Show extrem beeindruckt: In freundlichen Braun-Tönen gehaltenen Bühnen-Outfits spielten Michael Wolf (Die Gorillas, Berlin), Karin Krug (fastfood theater, München), Lorenz Kabas (Theater im Bahnhof, Graz, Österreich), Thorsten Giese und Karin Werner (beide Theaterturbine Leipzig, Leipzig). Wir sehen eine Geschichte zweier Ehepaare und einem „Freund der Familie“ (Michael Wolf), eingeleitet mit einem Monolog aus einem echten Fassbinder-Film (vorher vom Publikum ausgewählt), vorgetragen von Karin Werner. Diese trennt sich und zieht bei ihrer Schwester Liesbeth und deren Mann Franz ein. Ihr Mann Karl-Heinz ist ein Schwerenöter, und so fängt er, eigentlich im Bemühen, seine Gattin zurück zu gewinnen, eine Affäre mit Liesbeth an. Michael Wolf feuert als zwielichtige Figur mit Feinripp-Unterhemd, Brusthaar und Lederjacke die Vierecks-Geschichte mit unscheinbaren Bemerkungen von der Seite erst richtig an.

Das Publikum jiepert auf Lacher

Das Spiel war zu jeder Zeit unglaublich dicht. Zwar gab es wenig Bewegung in den Szenen – in einer „normalen“ Show hätte man wohl von „Talking Heads“ gesprochen; hier nicht – aber die Atmosphäre im Ratibor-Theater war in jedem Moment der Show zum Zerreißen gespannt. Man hat gemerkt, wie sehr das Publikum auf einen Lacher gejiepert hat, und sich an jedem noch so kleinen Gag versuchte fest zu halten, weil es der bedrückenden Atmosphäre, die die Spieler mit ihrer Geschichte erschufen, entkommen wollte. Jeder Gag, jeder Lacher lief jedoch ins Leere, denn es gab keinen Ausweg aus den Abgründen dieser gequälten menschlichen Seelen.

Die Romantische Komödie – Hollywoods beliebteste Heldenreise

Geradezu erfrischend, ja befreiend wirkte im Vergleich dazu das neun-köpfige Ensemble der Romantic Comedy, welches nicht weniger beeindruckend spielte. Ähnlich wie beim Fantasy-Genre wird auch hier eine mehr oder weniger komplette Heldenreise erzählt. Unsere Heldin ist Krankenschwester und wird gespielt von der bezaubernden Tess Degenstein (Bad Dog Theater, Toronto, Kanada). Ihren Job wird sie jedoch, da sie kein Blut sehen kann, bereits in der ersten Szene los, ganz zur Freude ihres nicht unbedingt sensibel zu nennenden Verlobten Brad (Kevin Gillese, Dad’s Garage, Atlanta, USA), der seine Verlobte hauptsächlich deshalb liebt, weil sie „so hot“ ist und sich ansonsten nicht groß um ihre Bedürfnisse schert. Die zweite Figur unseres späteren Liebespaars wird gespielt von Tobias Zilliacus (Stella Polaris, Helsinki, Finland). Er ist Tierarzt und –flüsterer, hat jedoch wegen spät-pubertärer Erfahrungen eher Schwierigkeiten im Umgang mit Menschen, speziell mit Frauen. Unterstützt wird er von seinen Sidekicks in der Tierarztpraxis, gespielt von Inbal Lori (Three Falling, Tel Aviv, Israel) und Randy Dixon (Unexpected Productions, Seattle, USA).

Romantic Comedy
Tanz-Szene und Happy End bei der Romantic Comedy (Fotos: macro)

Wie in jeder romantischen Komödie treffen die beiden sich erst zufällig, in einer Bar. Später bringt Tess einen angefahrenen Hund in seiner Praxis vorbei. Der schicksalhafte Moment, der die beiden zusammen führt, ist, als sie den Hund zurück bringen möchte (Brad will wegen eines Geschäftsauftrages mit ihr nach China ziehen – ein Angebot von Brads Freund „Slacker“, ebenfalls gespielt von Randy Dixon). Die beiden werden von einem Unwetter überrascht, welches es Tess unmöglich macht, noch am selben Abend zum Flughafen zurück zu fahren. Selbstverständlich geht das Unwetter mit einem Stromausfall einher *zwinkerzwinker*. Natürlich fliegt Tess auch später nicht mit nach China, sondern trifft ihren Liebsten auf einer Brücke (erneut ein Unwetter!), Brad haut ihm eins auf die Nase und Tess kann plötzlich doch Blut sehen. Der oberflächliche Brad kommt mit seiner scharfen Sekretärin (Maria Adele Attanasio, Voci e Progetti, Siena, Italien) zusammen, und zum Schluss tanzen alle gemeinsam auf der Bühne. Ein Happy End!

Manch einer nennt das Genre der Romantischen Komödie flach. Ich finde jedoch, dass es das Schema der Heldenreise par excellence verkörpert, das kann man mögen oder nicht. In jedem Fall hat sich das Publikum an diesem Dienstag-Abend im Ratibor-Theater gefreut, dass nach dem harten Tobak des Fassfinder-Formats eine leichte, lustige und fluffige Geschichte auf die Bühne gebracht wurde. Und das in brillanter Ausführung eines zehn-köpfigen, internationalen Festival-Ensembles!

Claudia Hoppe

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