Episches Impro: Theater ohne Probe im Sinne von Brecht

von macro:
Im Sinne von BrechtSeit Mai 2013 spielt das Theater ohne Probe in der Brotfabrik Berlin ein neues Langform-Format „Im Sinne von Brecht“. Es hat es in sich. Nicht weniger als die Dekonstruktion von Genren und Milieus mit den Werkzeugen des epischen Theaters ist das Ziel. Am 17. September sah ich dieses Vorhaben – und es gelang.

Die Spieler Sonja Dif, Susanne van Dyk, Felix Engelmann und Thomas Jäkel – alle Hosenträger tragend – erläuterten zu Beginn das Konzept. Nicht Emotion und Mitgefühl sollten geweckt werden, sondern das Verstehen und Denken. Erkenntnis vor Unterhaltung.

Ein Milieu (an dem Abend die Startup-Szene), ein Ort (Hamburger Hafen) und ein Genre (Der ARD-Tatort) wurden vom Publikum bestimmt. Separat und einzeln ins richtige Licht gesetzt von Manou Voigt stellte der Erzähler Thomas die erste Szene mit der Toten dem Publikum vor ebenso wie später dann die Charaktere der Hauptverdächtigen. Es entspannen sich klassische Tatort-Szenen ungewöhnlich begleitet von Simon Schönfeld mit Geige und Saxophonen.

Erkenntnis vor Unterhaltung

Ein weiterer Mord geschah und wurde von den Schauspielern mit dem Durchbrechen der vierten Wand über das Spielen solcher Szenen auf der Bühne reflektiert. Unterkühlung des Spiels heißt es bei Brecht, der Spieler zeigt mehr vor als die Situation tatsächlich zu durchleben. Mit dieser Distanz wird das Durchdenken der Materie für den Zuschauer gefördert. Nach der Pause wurden die einzelnen Stränge zusammen mit dem Publikum rekonstruiert. Klarheit und Transparenz über Storytelling. Eine Abstimmung über den Mörder folgte, denn jetzt musste der Tatort sterben, damit Brecht leben konnte.
Im Sinne von Brecht

Dekonstruktion des Genres in seine Grundbestandteile

Mit Verfremdungseffekten, Historisierung, Epilogen, mitgesprochenen Regieanweisungen und Liedern wird das Genre in seine Bestandteile zerlegt. Was ist der Kern eines Tatorts. Welche Prinzipien liegen darunter. Ein in der Hälfte der zweiten Halbzeit erzähltes Ende wird dann in ein alternatives Ende überführt. Es ist Tatort-fremd und blutrünstig, zeigt somit auch den vorhandenen Handlungsspielraum. So gibt dieses Format einen spannenden Blick von einer Metaebene auf Theatergenre und Mechanismen. Eine uneingeschränkte Empfehlung, es ist weit weniger verkopft als es vielleicht klingt, es ist lebendiges und anregendes Theater – und klüger macht es neben der Unterhaltung auch noch.

“Ein Mann, der etwas zu sagen hat und keine Zuhörer findet, ist schlimm dran. Noch schlimmer sind Zuhörer dran, die keinen finden, der ihnen etwas zu sagen hat.” – Bertold Brecht

Mehr Informationen findet ihr hier. Die nächsten Spieltermine sind Do 21. & Fr 22. November sowie der Di 17. Dezember 2013.

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