IMPRO 2013: The Sound of the waves – eine Bollywood-Show in Berlin

von Claudia Hoppe (Ergänzungen von Susanne van Dyk):

Ensemble_dancing
Tanzendes Festival-Ensemble

BERLIN – Am Freitag den 23.03.2013 ist am English Theatre Berlin das Festivalensemble der IMPRO 2013, unter der Leitung von Improv Comedy Mumbai (ICM), mit einer Show im Bollywood-Stil aufgetreten. Insgesamt waren dabei 14 Spieler und ein Musiker (Nigel Rajaratnam/ICM) auf der Bühne. Das Publikum, das gleich am Anfang in ein paar simplen Bollywood-Tanzschritten unterrichtet wurde, war von Anfang an völlig aus dem Häuschen. Am Ende der 2. Hälfte hatte das Publikum dann auch Gelegenheit, die neu erlernten Tanzschritte zur Anwendung zu bringen, so dass fast alle Zuschauer im Saal aufstanden und mit dem Ensemble tanzten, was in Standing Ovations überging.

Improv Comedy Mumbai kommen, wie der Name bereits suggeriert, aus Indiens größter Stadt Mumbai (früher: Bombay) mit einer Einwohnerzahl von 20,5m Menschen (Quelle: Wikipedia). Von ICM stehen an diesem Abend alle fünf der angereisten Spieler auf der Bühne, begleitet von neun weiteren Spielern des Festival-Ensembles. Gefragt wurde das Publikum am Anfang nach einem Beruf, nach einem konkreten Ort und einem Gegenstand, den man im Haus immer bei sich hat. Bekommen hat das Ensemble: Data Analyst, Beach und Gitarre. Außerdem wurde ein Titel abgefragt, der dem Stück seinen Namen gab: The sound of  the waves (Der Klang der Wellen).

Die Story

In einer Bank gibt es einen Computer-Virus. Raul (Dhruv Lohumi / ICM) ist der beste Data Analyst weit und breit und verbringt seine Zeit meistens mit seiner Gitarre am Strand, von wo seine Computerfreunde ihn in die Bank holen um den Bug zu fixen. Rauls verwitwete Mutter (Maja Dekleva / Kolektiv Naborov) wünscht sich so sehr, dass er bald eine Frau findet und möchte ihn deshalb an die Nachbarin (Kirsten Sprick / Hidden Shakespeare) verheiraten – was Raul nicht möchte. Mr. Kumar (Randy Dixon / Unexpected Productions), dem die größte Bank der Welt gehört, ist nicht erfreut darüber, dass der Computer-Bug gefixed wurde, denn er hat den Virus selbst ins System eingeschleust, um Geld abzuzweigen. Währenddessen trifft seine Tochter Rita (Kaneez Surka / ICM) Raul, der sie am Ende eines Shopping-Tages mit ihren Freundinnen vor ein paar zwielichtigen Gestalten rettet. Raul und Rita verlieben sich. Er nimmt sie mit zu sich nach Hause, und als die Schwelle zu seinem Elternhaus übertreten, schwört er ihr ewige Liebe. Als Rita ihrem Vater von Raul erzählt, ist dieser außer sich: Diese Liebe darf nicht sein, denn Raul hat gerade seine Pläne bezüglich der Bank durchkreuzt. Und außerdem hat er seine Tochter einem Unhold namens Ron (Daylynn D’Souza / ICM) versprochen, um seine Machtposition als stärkste Bank der Welt zu sichern. Dieser möchte Rita jedoch lediglich als Köchin und Putzfrau in sein Haus in der Schweiz holen. Selbstverständlich weigert Rita sich, Ron zu heiraten und plant, mit Raul durchzubrennen.

Rita und Raul

Also beschließt Mr. Kumar, Raul in den Augen seiner Tochter zu diskreditieren. Sein Scherge (Mukul Chadda / ICM) hat Geld aus dem Tempel gestohlen, welches an die Armen verteilt werden sollte. Dieses Geld soll in Rauls Gitarre versteckt werden, so dass Rita glaubt, dieser habe es gestohlen. Der Plan geht auf: Rita ist entsetzt und distanziert sich von Raul. Er wird verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Tottraurig willigt Rita in ihr Schicksal ein, den fürchterlichen Ron zu heiraten, der aus der Schweiz vom Ski-Laufen einfliegt, um die Hochzeit zu zelebrieren. Währenddessen befreien Rauls Computer-Hack-Homies ihn aus dem Gefängnis. Die Nachbarin ist es, die Raul zur Hochzeitszeremonie führt, um diese zu vereiteln. Sein Scherge gibt schließlich zu, dass es alles ein abgekartetes Spiel war und er Raul reingelegt hat, weil er seit Anbeginn der Zeit in Rita verliebt war, sie aber nicht haben konnte. Der Vater, sich an die Liebe zu seiner eigenen verstorbenen Frau erinnernd, bestätigt den Betrug und möchte die Hochzeitszermonie auf der Stelle stoppen. Es kommt zur Schlägerei zwischen Rons Schergen und Raul, die dieser mit Leichtigkeit außer Gefecht setzt. Am Ende bekommen Raul und Rita sich natürlich, und es gibt eine fulminante Hochzeit. Mr. Kumars Scherge findet seine Liebe zu Rauls Nachbarin, und alle sind glücklich und tanzen – sogar das Publikum.

Die Umsetzung

Mr. Kumar und seine Schergen
Mr. Kumar und seine Schergen

Die Umsetzung war für meine Begriffe brillant. Die Show ließ, im Hinblick auf das Bollywood-Genre, keine Wünsche offen: es wurde fulminant getanzt, es wurde fantastisch gesungen, es ging um die ganz, ganz großen Gefühle. Die Story, wie sie hier auf die Bühne gebracht wurde, stand der eines Bollywood-Filmes in nichts nach – und auch die Performance der Schauspieler tat dies nicht. Ganz besonders hervorheben möchte ich hier die gefühlvolle Ballade von Kaneez Surka und Dhruv Lohumi in Split-Screen-Technik. Für große Heiterkeit unter den Zuschauern sorgen auch immer wieder die restlichen Spieler des Festival-Ensembles, indem sie z.B. die Tücher der beiden Protagonisten im Winde zum Flattern bringen, sobald diese sich anschauen. Oder Matthieu Loos (Compagnie Combats Absurdes) und Felipe Ortiz (PICNIC), die sich als leicht begriffsstutzige, bullige Leibwächter Mr. Kumars heimlich (und selbstverständlich völlig incognito!) beim Shopping-Trip unter Ritas Freundinnen mischen, und sich zum Schluss, im großen Finale schließlich auch noch ihre gegenseitige Liebe gestehen. Oder Kirsten Rasmussen (Montreal Improv Theatre), die als Bild der verstorbenen Mrs. Kumar, eingerahmt von zwei weiteren Spielern, zu Mr. Kumar spricht. Solch liebevolle Details und Passenger haben die Show mit ihrem riesigen Ensemble zu etwas ganz Besonderem gemacht. Und auch der Musiker soll hier nicht unerwähnt bleiben. Ausgestattet mit iPad und Keyboard fand Raja Rajaratnam für jedes Motiv der Show (Bösewicht, die Liebe zwischen Raul und Rita) ein eigenes musikalisches Motiv, das zum Einsatz kam, sobald der Bühnenfokus sich auf dieses Motiv richtete. Auch dies offensichtlicher Teil des Bollywood-Formats.

Let your partner shine! – Mutual Agreement und Rampensäue

Was mich, wie häufig bei Shows mit Impro-Ensembles dieser Größe, am meisten fasziniert hat, war, neben dem Bollywood-Format selbst, die Kooperation, das „mutual agreement“ der Spieler untereinander. Eine Aufführung mit 14 Spielern kann schnell chaotisch und inkonsistent werden, sobald ein oder mehrere Spieler zur Rampensau werden und versuchen, möglichst viel Bühnenzeit für sich einzunehmen. Dies ist hier nicht geschehen! Jeder Spieler hat seinen Platz in dieser tollen Aufführung gefunden, und sei es nur als kurzer Passenger, wie z.B. Mike Fly (General Fools) als Gefängniswärter. Nachdem diese Figur nicht mehr gebraucht wurde, verschwindet sie auch wieder, und taucht allenfalls zum Schluss, bei der Festnahme von Mr. Kumars Schergen, noch einmal auf. Das richtige Maß an Zurückhaltung und Einsatz machen für mich Impro-Theater aus. Die richtige Mischung daraus, seine Mitspieler zu unterstützen, und gleichzeitig nicht sämtlichen Fokus von ihnen abzulenken, Verantwortung für sie und ihr Spiel zu übernehmen, ohne sie einzuengen. Kurz: Das Let your partner shine! Dies wurde hier wunderbar zelebriert und das in einem tollen, farbenfrohen Format, das keine Wünsche offen lässt.

Stimmen aus dem Zuschauerraum

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Raul und seine Gitarre; im Vorhang: Matthieu Loos & Felipe Ortiz als Bodyguards

Die eingefangenen Kommentare aus dem Publikum demonstrieren das allgemeine Gefallen: „Wow, was für ein Spektakel. Ich habe mich keine Sekunde gelangweilt“, „Tolle Kampf- und Tanz-Szenen.“, „Ich fand es beeindruckend wie der Musiker den einzelnen Charakteren einzelne Motive zugeordnet hat.“, „Am Liebsten würde ich das Stück gleich nochmal sehen.“, „Das war ein beeindruckendes Zusammenspiel der vielen Impro-Schauspieler und eine 1A-Bedienung des Genres.“

Homepage: http://improvcomedymumbai.com/

Claudia Hoppe