IMPRO 2013: Slow Impro

switch to english versionvon Claudia Hoppe:

BERLIN – Am Abend des 19.03.2013 traten im English Theatre Berlin (Fidicinstr. 40 in Kreuzberg) die beiden Schauspieler Matthieu Loos und Marko

Combat_Absurdes_2013
Foto: Claudia Hoppe

Mayerl der Gruppe Compagnie Combats Absurdes aus Lyon (Frankreich) im Rahmen der IMPRO 2013 mit ihrem Format „Slow Impro“ auf. Begleitet wurden die beiden musikalisch von Robert Munziger (Die Gorillas, Berlin) sowie einer weiteren Person am Licht.

Slow Impro – das Format

Im Laufe des Abends wurden verschiedene Szenen gespielt, die insgesamt in keiner Verbindung zueinander standen und auch keinem übergeordneten Thema folgten. Das Format „Slow Impro“ funktioniert dabei folgendermaßen: Zuerst betreibt ein Spieler das „Matter Work“ (wie Matthieu es nennt – Anm. d. Verf. die letztes Jahr einen Workshop zum gleichen Thema besucht hat). Dabei sucht er sich irgendetwas in seiner Umgebung, das kann der Fußboden sein, der Bühnenvorhang, seine Kleidung oder auch einfach eine abstrakte Bewegung, und spielt damit herum. Dieses „Matter Work“ betreibt der Spieler eine Weile. Der andere Spieler beobachtet ihn dabei, bis er sich inspiriert fühlt. Dabei kann er von der Seite eingreifen mit „mach etwas anderes“ oder „mach mehr davon“. Anschließend beschreibt der an der Seite verweilende Spieler, was er sieht – z.B. „Wir sehen einen Bildhauer bei der Arbeit. Er formt etwas aus Gips. Er formt seine Traumfrau. Er bearbeitet jedes Detail sehr sorgfältig.“ usw. Der darstellende Spieler auf der Bühne lässt sich dabei von den Worten des „Coachenden“ weiter inspirieren und nimmt diese in sein Tun auf, setzt sie um – was wiederum den kommentierenden Spieler beeinflusst. Nachdem dies eine Weile geschehen ist, kommt der an der Seite stehende Spieler in die Szene hinein und spielt den anderen Spieler an. Daraus entstehenden dann kleine Szenen unterschiedlicher Länge. In diesem Fall wurden vor der Pause drei Szenen gespielt und nach der Pause sechs.

Körperlichkeit

Aufgrund seiner Langsamkeit schreit das Format geradezu nach ausgedehnter Körperlichkeit – und diese zelebrieren der Franzose Matthieu und der Niederländer Marko auch in einer Weise, die ich so noch nicht auf der Impro-Bühne gesehen habe. Matthieu, der schon von seiner ganzen Erscheinung her wie ein Artist wirkt, dreht häufig ausgedehnte Runden über die Bühne – er rennt, springt und rollt sich auf dem Boden herum. Sein niederländischer Counterpart Marko, nicht ganz so athletisch sondern eher zart, fast zerbrechlich wirkend, tut es ihm gleich. Und so kam es, dass die beiden sich in einer Szene z.B. als Löwe und Gazelle  jagen, bis Löwe die Gazelle schließlich reißt. Und „reißen“ kann hier durchaus wörtlich verstanden werden, denn Matthieu hat Marko hier in der Tat zu Boden gerissen. In einer anderen Szene rollen sich die  beiden im virtuellen Gras, das hier in zweifacher Hinsicht virtuell ist: Einerseits virtuell, wie alles auf der Impro-Bühne virtuell ist, anderseits, weil diese Szene nur in den Gedanken der beiden Hauptfiguren (einem Anwalt und seinem Klienten, welcher kurz vor der Hinrichtung steht) so stattfindet.
Ebenfalls nicht unerwähnt bleiben soll hier die Strip-Tease-Einlage, bei der beide Spieler ihre Socken und Schuhe einbüßten und fortan barfuß weiter spielten. Gefolgt wurde dieses Slapstick-hafte Intermezzo – die Komik entstand durch mehrfach misslungene Versuche beider Spieler, ihre Socken weg zu schnippen – von einer erotischen Einlage der besonderen Art, bei der Matthieu versuchte, mit seinem Fuß den Hemdknopf seines Mitspielers zu öffnen.

Rahmenbedingungen

Häufig hatte ich als Zuschauerin den Eindruck, dass die Abstimmung zwischen Licht und Spielern noch nicht so ausgereift war. Dies machte sich entweder darin bemerkbar, dass Matthieu dem Lichttechniker  deutlich gestikulierte, was er sich wünschte, oder es ganz direkt auf der Bühne aussprach. Mir schien es, als hätten sich beide Spieler mitunter ein früheres Abblenden des Lichtes gewünscht, um die Szene mit dem  größtmöglichen Effekt beenden zu können.
Auffällig war auch, dass die musikalische Begleitung sehr zurückhaltend war. Die meisten Szenen wurden in kompletter Stille gespielt, und wenn Robert in die Tasten griff, dann eher, um Geräusch-Effekte zu setzen  (z.B. Sirene), und weniger, um einen stimmungsvollen Klangteppich für die Szenen zu schaffen.

Beziehungen, Talking Heads, und die Frage: Was ist eigentlich „gutes Impro“?

Bei „Slow Impro“ handelt es sich sicherlich um kein „typisches“ Impro-Format und dabei ist es gut möglich, dass die Erwartungshaltung des Publikums nicht getroffen wird. Die Reaktion war dann auch sehr unterschiedlich:  einige Zuschauer verließen den Saal bereits in der Pause und insgesamt fiel der Applaus eher verhalten aus. Andererseits gab es eine kleine Gruppe Zuschauer, die aus dem Jauchzen und Lachen kaum mehr heraus kamen. Insgesamt wurde weniger gelacht als bei typischen, auf Comedy ausgerichteten Impro-Formaten, da Slow Impro – wie der Name schon sagt – sich eher durch Langsamkeit auszeichnet, die teilweise bis ins Absurde gesteigert wird. Wie sich im kurzen Gespräch nach der Show heraus stellte, führen Matthieu und Marko das Format auch genauso in ihrer Heimatstadt Lyon auf.

Da ich den gleichnamigen Workshop bei Matthieu vor gut einem halben Jahr besucht hatte, war ich äußerst gespannt auf das Format. Was ich von dem Workshop in Erinnerung hatte war – abgesehen von den technischen Details des Formats – hauptsächlich, dass alle gespielten Szenen unheimlich tief waren, es tolle Beziehungen zwischen den Figuren gab und insgesamt mehrere Gänsehaut-Momente entstanden. Diese Erwartung wurde in der Show am Dienstagabend  für mich jedoch leider nicht erfüllt. Gerade die Beziehungs-Ebene zwischen den Figuren habe ich sehr vermisst. Dialoge zwischen den Figuren waren häufig eher abstrakt („Vater, warum hat Mutter uns verlassen?“ – „Du erinnerst Dich noch an gestern Abend, als Du Dein Abendessen nicht aufgegessen hast?“ – „Ja.“ – „Siehst Du, deswegen.“). Als Zuschauer hatte ich den Eindruck, dass die Spieler teilweise nicht recht beieinander waren, was die abstrakten Dialoge erklären würde. Und trotz der immensen körperlichen Aktion in vielen Szenen hatte ich oft den Eindruck, während der Dialoge mit der klassischen „Talking Heads“-Situation konfrontiert zu sein.

Unweigerlich hat man sich als Zuschauer nach dieser Veranstaltung gefragt: Was ist eigentlich „gutes Impro“? Muss es immer lustig sein? Muss es immer eine Story geben? Muss es immer um Beziehungen gehen? Oder ist das nur eine Schablone, eine Brille, die ich und viele andere Impro-Spielende auf haben, und durch die sie die Impro-Welt beurteilen? Compagnie Combats Absurdes zeigen, dass es auch anders geht – nämlich im wahrsten Sinne des Wortes „absurd“. Und das ist definitiv eine Bereicherung der Improszene, auch wenn es vielleicht nicht jeden Geschmack trifft.

 

Homepage: http://www.combatsabsurdes.com/
Matthieu und Marko spielen als Teil des Festival-Ensembles am Mittwoch, 20.03.2013 die Show „3 Epochen“ in der Markthalle IX, sowie am Freitag als Teil der Bollywood-Show noch einmal im English Theatre Berlin.