IMPRO12: Impromptu Splendor: Tschechow / Woody Allen

von Marco:

BERLIN – Meine Erwartungen waren hoch. Am Vorabend hatten die 3 Spieler vom kanadischen National Theater of the World (Naomi Snieckus, Ronald Pederson und Matt Baram) mit ihrer ‘Carnegie Hall Show’die Herzen des Berliner Publikums mit Witz, Geschwindigkeit, Charme und bestem amerikanischen Entertainment erobert.

Tschechow-Szene, Foto: Marco

Aber würde dieses Ensemble auch in gleicher Qualität eine abendfüllende Langform im Stile von Tschechow oder Woody Allen spielen können? Insbesondere mit Tschechow würden sie sich auf die exakt entgegengesetze Seite des Unterhaltungsspektrums begeben müssen. Um es kurz zu machen: Es gelang ihnen nicht nur gut, sondern auf eine so eindrucksvolle Weise, dass in deutschen Improkreisen sicherlich noch lange die Rede davon sein dürfte.

Die erste Hälfte begann mit einer kurzen Rekapitulation von typischen Elementen eines Tschechow-Stücks: Russland, Moskau, Einöde, depressive Stimmung, Vodka. Anschließend wurden vom Publikum Probleme und Vorzüge der Stadt Berlin eingefordert (Hundekot, unzuverlässiges Transportsystem, gute Restaurants).

Tschechow-Szene, Foto: Marco

Daraus entwickelten die genretypisch kostümierten Spieler eine ruhige, eindringliche, beklemmende und trotzdem mit improtypischen Überraschungen durchzogene Geschichte, die das Publikum sichtlich anrührte. Das von Zeit zu Zeit hörbare Jammern eines Säuglings aus dem Zuschauerraum bauten sie geschickt zu einem tragenden Element in ihre Geschichte ein, so dass man fast meinen konnte, er wäre extra dafür engagiert worden. Ein tragischer Doppelselbstmord beendete diese erste Geschichte stilecht.

Die zweite Halbzeit stand im Zeichen des Stadtneurotikers Woody Allen. Auch hier wurden wesentliche Infos zu Woody Allen und seinem Werk gemeinsam mit dem Publikum aufgefrischt (Brille, Neurose, Liebesaffären, New York, Beziehungen zwischen modernen Menschen) und Vorgaben eingeholt. Neu kostümiert machten sich die Spieler daran, unterschiedliche Charactere zu erschaffen, die im hektischen Großstadt-Dschungel aufeinandertreffen. Es entwickelte sich ein temporeiches Spiel zwischen U-Bahn, Fast-Food-Restaurant, Psychologen-Praxis und Wohnapartement, bei dem die Spieler glaubwürdig das gestresste und komplizierte Zusammenleben von Menschen in einer modernen Gesellschaft anrissen.

Großstadtneurosen à la Woody Allen, Foto: Marco

Die dabei auftretenden Fehler der Mitspieler wurden gnadenlos aufgenommen, so dass am Ende der Psychologe des überforderten werdenden Vaters nicht nur selber ständig zu Psychologin ging, sondern am Ende gleich von 2 anderen Kollegen mit Ratschlägen versorgt wurde. Das alles war ziemlich unübersichtlich, hektisch und manchmal etwas wirr, aber durchsetzt mit interessanten Figuren, hervorragendem Schauspiel, überraschenden Wendungen und vor allem einer unglaublichen Spielfreude.

Einziger Wermutstropfen: Dies war erst einmal die letzte Vorstellung des National Theater of the World, die nach einem kurzen Zwischenstopp in Wien wieder zurück nach Kanada fliegen. Genaue Pläne für einen weiteren Auftritt in Europa gibt es derzeit leider noch nicht. Aber vielleicht hilft es, wenn wir alle zum Improgott beten, uns diese wunderbare Gruppe wieder nach Deutschland zu schicken! Ein Publikum werden sie nach ihrem grandiosen Debut hier haben, da bin ich mir sicher.