Murder she improvised – ein Workshop von und mit Dad’s Garage

von Claudia Hoppe:

Amber und Matt

BERLIN – Am Samstag und Sonntag, 7./8. Januar 2012 fand im BühnenRausch in Prenzlauer Berg ein Improtheater-Krimi-Workshop mit acht Teilnehmern (jeweils die Hälfte Frauen/Männer) plus Amber und Matt von Dad’s Garage aus Atlanta/USA als Dozenten statt. Es handelt sich um ein recht direktives Format, in dem jedem Spieler ein Charakter fest zugewiesen ist, den er bei der Aufführung zu spielen hat. Es gibt ein festgelegtes Setting, ein (in der Regel) reiches, mächtiges Mordopfer und einen festgelegten, „zufällig“ vor Ort anwesenden Detektiv, der die Ermittlungen führt.

Dazu gibt es eine direktive Stimme aus dem Off, die die Schauspieler in bestimmten Konstellationen zu Szenen auf die Bühne ruft. Die Szenen finden in der Regel zu zweit statt, wobei auch weitere Spieler auf die Bühnen kommen können, wenn sie es der Szene für dienlich halten. Sind sie nicht gerade auf der Bühne in Aktion, sind für die Spieler Plätze in der 1. Sitzreihe des Zuschauerraumes reserviert, wo sie alles mit ansehen können (dass die anderen Spieler alles mitbekommen, was ihre Kollegen spielen, ist bei diesem Format besonders wichtig, da man sich später in seinen eigenen Szenen darauf beziehen kann, sogar soll). Auch das Opfer erscheint in Flashback-Szenen aus der Vergangenheit, ist also mit seinem Tod auf der Bühne nicht ausgeschieden, sondern nach wie vor präsent.

Am Anfang gibt es eine Cocktailparty-Szene, in der alle Schauspieler auf der Bühne sind, am Ende eine, in der alle noch lebenden Figuren (es kann im Verlauf der Handlung auch mehr als eine Figur versterben) wiederum auf der Bühne sind, in der der Detektiv dann den Schuldigen überführt. Die Stimme aus dem Off stellt bei der Eröffnungsszene die jeweiligen Figuren vor (die dabei einzeln vortreten, während alle anderen bewegungslos einfrieren), der Mord findet bei abgeschaltetem Licht statt bzw. es wird auf eine Szene geschaltet, in der das Mordopfer bereits tot auf dem Boden liegt, so dass die eigentliche Tat am Anfang nicht gezeigt wird, dafür aber am Ende bei der „Überführung“ des Täters durch den Detektiv explizit gezeigt wird. Täter ist bei der großen Überführungsszene am Ende schlicht der letzte, den der Detektiv aufs Korn nimmt, nachdem er alle übrigen Figuren schon behandelt und nicht als Täter entlarvt hat.

In einer Schale am Bühnenrand stehen Zettel zur Verfügung, die als vom Publikum ausgefüllte Fragezettel ein Motiv, eine Mord-Begehungsart, ein Alibi und weitere Hinweise, Indizien oder Tatumstände (Englisch „Clue“) für die Schauspieler zur Verfügung stellen, sollten sie einer Anregung bedürfen. Die Zetteltechnik kann auch absurde Umstände/Motive/Geschehensabläufe ins Geschehen einführen, die bei „realistischerem“ Spiel von den Schauspielern nicht eingeführt würden.

Das Format lehnt sich an die Whodoneit (Wer hat’s getan?) Krimis einer Agatha Christie an, in der Hercule Poirot oder andere schnelle Denker die durch den Mord aus den Fugen geratene Weltordnung durch die Überführung des Täters / der Täter wieder herstellt. Die Spieler malen ihre Figuren möglichst plastisch und in melodramatischem Gestus aus und stellen sich entweder vorsätzlich verdächtig oder als so unverdächtig und unbetroffen dar, dass sie schon wieder verdächtig-unverdächtig erscheinen. Ziel und größter Spaß bei diesem Format ist tatsächlich, so verdächtig wie möglich zu erscheinen, gleichzeitig aber auch z.T. hanebüchene Verdächtigungen gegen die Mitspieler vorzubringen (und dadurch eventuell selbst noch verdächtiger zu werden). Die Stimme aus dem Off gibt nicht nur recht explizite Regieanweisungen, sondern steuert auch die Musik, die das Ende einer Szene mit einer bestimmten Spannungsmelodie anzeigt. Die Musik markiert mit einer anderen flirrenden Melodie den Beginn und das Ende von Flashback Szenen aus der Vergangenheit.

Die Aufwärmübungen des Workshops waren körperbetont (Samuraischwert, das Nachmachen von emotionalisierten Gesten oder Sätzen), übten das Zuschreiben von Eigenschaften an einen in der Mitte des Kreises stehenden Mitspieler sowie einen darauf folgenden improvisierten Monolog der Figur mit den zugeschriebenen Eigenschaften, der die Mitspieler dann jeder eine Frage stellten, die diese kurzfristig ohne Nachzudenken beantworten musste. In einer „Jagd“-Übung fiel der Jäger, der seinen Mitspielern der Reihe nach das als Rollenmuster vorgab, was er angeblich jagte, dem sich jeweils so verhaltenden Mitspieler zum Opfer, der daraufhin seinen Platz einnahm (der Jäger „ich jage hysterische Großmütter“, der Mitspieler verhält sich wie eine hysterische Großmutter, ermordet den Jäger als solche, nimmt seinen Platz ein und sagt „ich jage …“, worauf der nächste Mitspieler sich als … verhält und ihn als solchen wiederum ermordet usw.).

Schwergewicht der Vorbereitungsübungen waren schließlich zufällige Szenen, in denen jeweils zwei / drei Spieler eines Improkrimis aufeinandertrafen, ihre (ihnen zugewiesenen) Figuren/Rollen in melodramatischem Ton ausmalten bzw. sich durch Ausdeuten der Beziehungen möglichst verdächtig machten. Davor war noch in Drei-Textzeilen-Szenen geübt worden, möglichst kurz und bündig eine Szene zu definieren, d.h. in drei Sätzen die Identität der Figuren, den Ort und das Thema zu definieren. Dies möglichst vornehmlich mit Körpersprache und ohne viele Worte.

Ferner wurde das Format am Nachmittag des ersten Workshop-Tages bereits einmal eingeübt. Jeder Workshopteilnehmer bekam von Matt eine Figur zugewiesen, die es dann zu spielen galt: Ein mächtiger griechischer Reeder (Christos Papadapoulous) war ermordet worden. Das Umfeld des Mordopfers bestand aus: dessen Ehefrau, seiner Geliebten, seinem schwulen Sohn, seinem (heimlichen) schwulen Liebhaber, seiner Masseuse, seinem besten Kapitän, seinem erbittertsten Konkurrenten, seiner teuflischen Zwillingsschwester, einem Piraten und einem Butler. Das Mordopfer selbst sowie der Detektiv wurden nicht besetzt. Leider war jedoch nicht genügend Zeit, den Krimi zu Ende zu spielen, so dass offen bleiben musste, wer Papadapoulous letztendlich umgebracht hatte.

Der zweite Workshoptag begann mit der Sammlung und anschließenden Auswahl eines potentiellen Settings für die geplante Show am Abend. Zur Stichwahl blieben letztendlich drei mögliche Opfer übrig: Ein Medien-Mogul, ein Mafia-Boss und ein Zirkusdirektor. Die Abstimmung ergab eine Mehrheit für den Zirkus-Direktor. Somit wurden anschließend Figuren gesammelt, die im weitesten Sinne in einem Zirkusumfeld anzutreffen sind. Nachdem insgesamt etwa 20 verschiedene Figuren zusammen kamen, sollte jeder Teilnehmer seine drei liebsten Figuren benennen, dann wurde zusammen entschieden, wer welche Figur spielen würde. Neben der Zirkusdirektorin Nathalia Capellari gab es eine bärtige Frau (Amanda), eine Hasendompteurin (Bunny), einen schlechten / bösen Clown („bad clown“), eine menschliche Kanonenkugel (Bobby McFerrin), eine Ticketverkäuferin (Maria), eine Wahrsagerin (Madame Dominica) sowie einen namenlosen russischen Hausmeister. Die nassforsche „Detektivin“ Nancy (14 Jahre alt!) rundete das Ensemble ab. Nachdem die Charaktere vergeben waren, hielt jeder Charakter einen Monolog und anschließend wurde er von den anderen befragt wie in der Übung am ersten Tag, so dass sich Figuren formen konnten. Die Inhalte, die dabei definiert wurden, mussten nicht zwingend so auch in der Show vorkommen (d.h. die „Backstory“/Vorgeschichte der Figuren wurde konstruiert). Wenn man sich als Spieler mit einem bestimmten Aspekt oder einer bestimmten Eigenschaft seiner Figur unwohl gefühlt hat, musste man diese Facette in der Show natürlich nicht übernehmen.

Der Nachmittag des zweiten Workshop-Tages verging mit dem Üben ähnlicher Formatszenen, wobei aber nicht die Charaktere genutzt wurden, die am Abend bei der Show verwendet werden sollten, um die Charaktere frisch zu halten und nicht „zu verbrauchen“.

Am Sonntagabend mündete der Workshop in eine Aufführung um 20:00 Uhr im Bühnenrausch. Aufgrund der Tatsache, dass die erste Reihe den Spielern vorbehalten war und auch sonst die Bestuhlung nicht so eng war, wie es möglich gewesen wäre, war der Saal fast voll. Die Workshop-Teilnehmer hatten sich vorher kostümiert und dann ging es los. Das Format wurde wie geprobt umgesetzt und die Zuschauer waren begeistert. Kontrovers diskutiert wurde, dass Matt als Regisseur die Promiskuität der Figuren zu einem der Hauptaspekte in den Szenen gemacht hat, was dazu führte, das im Verlauf der zweiten Hälfte der Show nahezu jede Figur mit jeder anderen Figur Sex hatte (inklusive der 14-jährigen Detektivin). Am Ende der Show wurden wie geprobt die noch übrigen Charaktere (die Wahrsagerin, die menschliche Kanonenkugel, die bärtige Frau Amanda und der vermeintlich einarmige Hausmeister) verhört und es stellte sich heraus, dass die 14-jährige Detektivin Nancy die Mörderin gewesen war, die sich unversehens selbst über- und von Amanda schließlich abgeführt wurde.

Wie sich in einem Gespräch nach der Show zeigte, hatten Matt und Amber das Format vorher noch nie so gespielt, dass der Detektiv am Ende der Mörder war. Aber da Nancy die einzige Figur war, die bei allen weiteren Morden anwesend war, blieb dies die einzig logische Schlussfolgerung. Da der Eintritt zur Show frei war wurden am Ende Spenden gesammelt.

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