Sozialkritisches Improtheater: “Meet the Heitlers”

von Marco:

HALLE – Allein der Titel hat im Vorfeld dieses Show-Beitrags im Rahmen des Improkal-Wettbewerbs zur Impronale in Halle einige Diskussionen ausgelöst. Ist es wirklich eine Anspielung auf einen dunklen Fleck der deutschen Geschichte? Als Impro-Show?

Die Heitlers verstehen sich..., Foto: Markus Scholz, www.marsfoto.de

Oder steckt etwas ganz anderes hinter dieser internationalen Co-Produktion (Kirsten Sprick von hidden shakespeare aus Hamburg und Henk van der Steen vom Troje Theater aus Amsterdam)? Nach eineinhalb Stunden deutsch-holländischer Beziehungsstudie ist klar: Es ist eine Anspielung – aber eine eher indirekte.

Denn im Vordergrund steht die Beziehung von zwei Personen in der Gegenwart. Sie dient als Ansatzpunkt für die Aufarbeitung von Vorurteilen und Vorbehalten Deutscher und Holländer gegeneinander, die zum großen Teil auf Erfahrungen während des 2. Weltkriegs beruhen dürften.

Das Format basiert auf einem in groben Zügen vorher festgelegten Plot: Deutsche Frau aus Hamburg und holländischer Mann aus Amsterdam treffen sich nach langer Zeit zu einem Wiedersehen in einer neutralen Stadt (in diesem Fall dem Aufführungsort Halle), um ihre Vergangenheit aufzuarbeiten und herauszufinden, ob ihre Liebe eine zweite Chance hat.

Hier lernten sie sich vor vielen Jahren kennen und lieben, verbrachten einige schöne Tage und pendelten danach zwischen Hamburg und Amsterdam. Sie lebten dann zunächst in Amsterdam und später in Hamburg in einer gemeinsamen Wohnung, bevor sie sich schließlich doch voneinander trennten.

...und dann wieder nicht, Foto: Markus Scholz, www.marsfoto.de

Alle Details (wo genau in Halle trafen sie sich, welchen Beruf haben die beiden, …) wurden vom Publikum während der Story eingeholt. Mit dabei auch “typische Eigenschaften von Holländern und Deutschen”, was dann schon ziemlich direkt auf die beabsichtigte Konflikt-Thematik zusteuerte. Erwartungsgemäß wurden die beiden Hauptfiguren in den verschiedenen Beziehungsstadien mit den klassischen Stereotypen (z.B. Tulpen, deutsche Pünktlichkeit und Ordnung) konfrontiert, die sie dann gemeinsam und sehr unterhaltsam aufarbeiteten. Das machte beim Zuschauen dank der großartigen Darsteller, die sich die Bälle unglaublich dynamisch und schlagfertig zuspielten, richtig Spaß. Trotzdem regte das Spiel – ohne groß die Moralkeule zu schwingen – zum Nachdenken über gegenseitige Vorurteile und interkulturelle Beziehungsprobleme an.

Ein sehr schönes Detail bei der Aufführung: Die Dialoge fanden in drei Sprachen statt: auf englisch, wenn die Szene in Halle spielte, in Amsterdam auf holländisch und in Hamburg auf deutsch. So war für Zuschauer und Spieler trotz vieler Zeit- und Ortssprünge jederzeit klar, wo die entsprechende Szene gerade spielt und natürlich sorgte die Sprache auch gleich für das passende Flair. Schöne Erkenntnis aus Zuschauerperspektive: Auch wenn man nur wenig Holländisch versteht, konnte man die Handlung gut verfolgen. Ein überraschender Punkt, der mir bereits bei anderen fremdsprachigen Improaufführungen aufgefallen war: Der verbale Inhalt der Szenen ist nicht unbedingt der wichtigste Teil der Aufführung.

Waffeln und Likör für's Publikum, Foto: Markus Scholz, www.marsfoto.de

Nach tragischem Ende der Liebesbeziehung (das Publikum hatte es so gewollt…) gab es noch holländische Stroopewafels und Kräuterlikör für die Zuschauer auf der Bühne. Ein netter Abschluss, kamen so doch noch einige spannende Diskussionen mit den Schauspielern und anderen Zuschauern zustande.

Mein Fazit: Semi-geskriptetes Improtheater mit augenzwinkerndem sozialkritischem Touch hat dank der hervorragenden Schauspieler prima funktioniert, gut unterhalten und ein wenig zum Nachdenken angeregt. Ich wünsche mir mehr Experimente in diese Richtung!

One thought on “Sozialkritisches Improtheater: “Meet the Heitlers””

  1. Ach Marko, danke für diesen tollen Artikel. Du schreibst mir aus der Seele. Ich finde es verbessert das Impro entscheidend, wenn man sich durchaus einen schönen Rahmen gibt, und einen minimalen Plot gibt. Wir sind eben nicht alle Stephens und Lees, die aus dem Nichts einen super Plot bauen können, dazu gehört eben doch jahrelanges Training und Verstehen wie Geschichten aufgebaut sind und wie die Dramaturgie einer Story funktioniert.
    Vieles an Impro-Show könnte deutlich besser sein, wenn wir alle mehr Mut und Vertrauen hätten und endlich auch davon abkommen würden, dass man ständig beweisen muss, dass alles improvisiert ist. Ich finde, es muss auch für ein Publikum ausreichend sein, dass wenn gesagt wird, dass alles improvisiert, dann isses auch so. Und nicht noch hier ein Beweis und hier ein Beweis – ich muss nichts beweisen und wenn mancher im Publikum sagt, naja, das haben die ja schon abgesprochen – Lass ihn reden, wenn die Show und die Story dafür saugeil, unterhaltsam, berührend und großartig gespielt war, isses mir egal, was Einzelne sagen. Ich danke Dir sehr und ich wünsche mir auch mehr von dieser Form des Spielens.

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