Lasst uns mehr Theater wagen! – Ein persönliches Festival-Fazit

von: Stephan Holzapfel

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Ich geb’s zu: Impro-Abende im Stil von Strindberg und Ionesco schienen mir nicht sehr vielversprechend zu sein. War ich nicht unter anderem beim Impro gelandet, weil mir das “normale” Theater oft zu ernst, zu schwer, zu angestrengt war? Außerdem hatte ich wenig Ahnung von den Stücken dieser Theaterautoren, wie sollte sich mir dann der Reiz dieser Aufführungen mitteilen?

Theater statt Zirkus

Aber dann fand ich es großartig! Ich habe Shows voller Intensität, voller Spannung und Experimentierlust gesehen, in denen die Spieler komplexe und bilderstarke Dialoge erfanden. Wie nah sie dabei Tennessee Williams oder Eugene Ionesco gekommen sind, vermag ich nicht zu beurteilen, aber das finde ich auch nicht so entscheidend. Wichtig finde ich die theatrale Kraft dieser Aufführungen. Vielleicht braucht Impro nicht unbedingt mehr Strindberg, aber es braucht mehr Theater, wenn es seinen Namen ernst nimmt und nicht nur Zirkus sein möchte. (Der Zirkus feiert den Effekt, was ein schöner Nervenkitzel ist, wenn er gekonnt gemacht ist. Aber er ist kein Theater.)

Die Konsequenz ist allerdings nicht, dass wir jetzt alle tragische Langformen spielen sollen. Dafür braucht es echte Könner, damit es nicht zäh oder gar peinlich wird. Vielleicht braucht es dafür sogar ausgebildete Schauspieler, deren Stimmen klangvoller sind, die sich präziser bewegen und die auch in ruhigen Szenen stärker die Spannung halten können.

Vielleicht aber auch nicht. Jeder soll ausprobieren, wozu er sich berufen fühlt. Ich traue mir Tragödien-Langformen nicht zu und mir liegt die Komödie auch näher. Was mich allerdings kaum mehr interessiert, ist das kurzatmige Blödel-Impro, das eben nicht nur eine Notlösung untalentierter oder selbstgefälliger Gruppen ist. Es ist eine eigene Tradition unserer Theaterform und es ist wohl die verbreitetste.

Trash ist Alltag beim Impro

Denn auch das konnte man beim Festival sehen: Wenn Impro keine hohe Kunst sein will, dann ist es schnell Trash, und zwar nicht, weil man irgendwie vom Weg abgekommen ist, sondern weil man voll darauf zugesteuert hat.

So war es teilweise auch bei dem “Grand Prix de l‘Improvisation” am letzten Festivaltag. Vor allem in der zweiten Hälfte, in der in bewährter Impro-Manier z.B. eine „Oper“ gespielt wurde, in der jemand unbedingt eine Currywurst will. Am Ende bekommt er sie im Tausch gegen seine Frau. Natürlich ist es lustig, wenn im ernsten Opernton über etwas so Banales wie eine Currywurst gesungen wird. Nicht zueinander passende Dinge zusammenzubringen ist ein beliebter Komik-Effekt, schon die übergroßen Schuhe des Clowns zeigen das. Doch es ist ein Effekt, hinter dem nichts mehr kommt, denn eine Currywurst hat keine Bedeutung, es macht keinen wirklichen Unterschied, ob sie da ist oder nicht, zudem kann man sie sehr leicht besorgen.

Bei diesem “Problem” kann man nicht mitfühlen. Eine Figur, die seine Frau gegen eine Wurst eintauscht, hat nichts Menschliches und ist deshalb im besten Fall ein bunter Pappkamerad, im schlechtesten Fall ärgerlich und nervig. Warum gibt man den Figuren keine wirklichen menschlichen Leidenschaften, so dass mehr entstehen kann als Klamauk?

Für schlechte Darsteller mag der Klamauk sogar erfolgversprechender sein, denn wer schief singt, wird sein Publikum schwer emotional erreichen können. Wenn aber auch Spieler mit mehr Potential reflexhaft die niederen Instinkte des Publikums bedienen, dann hat das Improvisationstheater ein Problem.

Banal oder bedeutsam

Es wird immer Spieler geben, die banal und bedeutsam nicht unterscheiden können oder wollen. Für sie gilt die einfache Formel: je lauter das Publikum, desto besser die Show. Doch alle anderen sollten das Bedeutsame suchen, und zwar nicht nur im Langen, Ernsten, Tragischen, da, wo es jeder erwartet, sondern besonders im Kurzen, Leichten, Komischen, im scheinbar Banalen.

Ein Beispiel: Ein Lied mit dem Titel „Das Baguette ist weg“ wird vielleicht effektvoll, aber banal, wenn wirklich nur melodramatisch das Fehlen eines Brotes beklagt wird. Bedeutsam, d.h. menschlich-emotional relevant wird es, wenn das Baguette z.B. eine Metapher ist: etwa für das Fehlen des Partners, der sonst immer das Baguette mitgebracht hat. Oder für die schönen, vergangenen Zeiten, in denen das Baguette traditionell dazu gehörte. Heute dagegen isst man Toast aus der Fabrik.

Ein positives Beispiel ist der Grand Prix-Beitrag von Michael Wolf, der ein „persönliches Lied“ singen wollte. Also ein Lied mit einem Thema, das für ihn eine wirkliche Bedeutung hat. Der Vorschlag lautete dann „Wahlkampf in Baden-Württemberg“ und er sang emotional-kämpferisch über die Befreiung vom schwarzen Joch durch die Partei der Grünen. Man stelle sich vor, er hätte bloß gesungen, dass es im Baumarkt keine grüne Farbe mehr gibt, das hätte niemals diese starke Wirkung haben können. Am Ende sang er über die Abschaltung von AKWs.

Kurz zuvor hatte der Moderator den Vorschlag „Atomkraft“ zurückgewiesen. Klar, es ist ein bisschen riskant, das anzunehmen, weil es peinlich wäre, würde das Lied missglücken. Aber wenn es ein gutes Lied wird, dann wäre die Wirkung unschlagbar, denn es greift dann ein hochemotionales Thema auf, das für viele momentan eine enorme Bedeutung hat.

Trashig und banal wird Impro manchmal auch, wenn wir es nicht wollen. Scheitern gehört eben dazu. Aber Suchen sollten wir doch etwas anderes.

Lasst uns mehr Theater wagen!

Zwackelmann