IMPRO 2011: Unexpected Productions improvisieren „Tennessee Williams“

von Dan Richter:

Es gab noch keine Vorstellung des Unexpected Productions Ensembles, aus der ich nicht inspiriert herausgekommen wäre. Haben sie sich eigentlich Schillers „Ästhetische Erziehung des Menschen“ als Credo gegeben?

In diesem Jahr improvisieren die Gruppen des Berliner Impro-Festivals im Stile eines von ihnen selbst gewählten Dichters. Es hat sich schon in den ersten Tagen des Festivals gezeigt, dass es durchaus verschiedene Konzepte zur improvisatorischen Umsetzung – sowohl zwischen den Gruppen als auch zwischen Spielern. So interpretierten Die Gorillas ihren Autor Büchner, indem sie zwei seiner Stücke sowohl inhaltlich als auch strukturell sehr dicht am Original adaptierten, was bei einigen Spielern ein gewisses Unbehagen aufkommen ließ – wo bleibt unsere spielerische Freiheit? Die Crumbs destillierten aus George F. Walker vor allem Handlungsmotive, die sie teilweise auch vor Impro-Herausforderungen stellten: Ein Grundmotiv Walkers ist z.B. ein negativer Held, der nicht lernt, sich also nicht verändert. Als Improspieler aber predigen wir einander immer und immer wieder: Lass dich berühren, lass dich verändern. Und ich rätsle noch heute, ob das wiederkehrende „Listen! Listen!“ von Lee Whites Figuren nicht doch auch ein wenig eine Aufforderung an seinen Mitspieler war.

Wie also würden Unexpected Productions in diesem Jahr auf dem Berliner Improfestival ihr Thema „Tennessee Williams“ umsetzen? Ausgerechnet am Abend des Todes von Elizabeth Taylor, die in zwei seiner Verfilmungen mitgespielt hat und drei Tage vor Williams’ hundertsten Geburtstag.

Tennessee Williams Randy Dixon
Randy Dixon läßt sich einen Titel geben - Foto: Impro-News

In der ersten Hälfte führt uns Randy Dixon mit einem Erzähler-Monolog in eine Südstaaten-Szene ein, inspiriert von „Glasmenagerie“ und „Endstation Sehnsucht“: „Das Glück in diesem Haus ist zum Greifen nah, aber du kannst es nicht erreichen. So nah, dass es dir manchmal ins Gesicht spuckt, und das fühlt sich gut an.“ Bruder und Schwester leben mit ihrer Mutter in einem Haus, dessen Zerfallen sich bemerkbar macht. Auf den Klempner haben es sowohl Mutter als auch die überbehütete Tochter abgesehen. Der alkoholkranke Sohn, der als Schuhputzer arbeitet, will eigentlich fort auf ein Schiff und wird darin von seinem Kollegen bestärkt. Am Schluss flieht statt ihm die lebensuntüchtige Tochter und wird prompt von einer Straßenbahn überfahren.

So einfach, so dicht an den Motiven. Als Michael Bils nach „Dorothyyyyy!“ ruft, gelingt sogar noch eine koketteriefreie Referenz auf Marlon Brandos legendären Stellaaaa!-Schrei.

Randy Dixon entlässt uns mit dem Hinweis: „Das ist eure Stadt“, aber da zu 95% Improspieler im Publikum sind (davon die Hälfte Teil des Festival-Ensembles) wird in der Pause allerorten eher das Wie als das Was diskutiert. Mein alter Freund D. meint, sie hätten so dicht an Tennessee Williams gespielt und es wäre überhaupt zu gut gewesen, das könne er sich ja auch gleich im Theater anschauen. Die Schauspieler haben aber nicht allein die Motive und Charaktere gut erfasst. Sie sind, und das wird häufig übersehen, unglaublich gut in die Sprache eingestiegen. Wir sehen hier nicht nur gute Schauspiel-Improvisation, nicht nur gutes Storytelling, sondern wir sehen hier Dichter am Werk, die die sprachlichen Elemente so genau nehmen, dass es ein wahrer Genuss ist, ihnen dabei zuzusehen. Die Metaphern sind genau, Elemente werden wieder aufgegriffen, man spielt mit Bedeutungsebenen.

Michael Bils und Stephen Sims kämpfen und umwerben sich im Hundeasyl - Foto: Impro-News
Michael Bils und Stephen Sims kämpfen und umwerben sich im Hundeasyl - Foto: Impro-News

Während der vom Publikum vorgeschlagene Titel des ersten Stücks „The olive skinned man“ wie nebenbei eingebaut wird (es ist der von Dorothy angebetete Straßenbahnfahrer, der sie später überfährt), nutzen sie den zweiten Titel – „Dogs bark at night“ direkt und unmittelbar: Das Stück spielt in einem Hundeasyl. (Beide Herangehensweisen haben in der Impro ihre Berechtigung: Bau es sofort ein vs. Wirf den Stein weit weg.) Die Spieler entfernen sich vom Setting der „Katze auf dem heißen Blechdach“ wesentlich stärker. Es bleiben als Motive Verzweiflung, diabolische Weiber versus gedemütigte Männer usw. Fünf Personen, die sich umschnüffeln, miteinander spielen, und nur von einer dünnen Schicht der Zivilisation davon abgehalten werden, sexuell oder gewalttätig übereinander herzufallen.

Der Hundefänger bekommt seine Injektion - Foto: Impro-News
Der Hundefänger bekommt seine Injektion (v.r. Bils, Dixon, Sim, Hippie, Peters) - Foto: Impro-News

Die Entfernung vom Original lässt die Stärken des Miteinander noch mehr aufscheinen: Die Dialoge sind vielleicht weniger poetisch, dafür flinker. Typischer Impro-Humor kommt auf, da jetzt die Spieler stärker Zug um Zug aufeinander reagieren. Man gibt auch der physischen Komik eher freien Lauf: Aus irgendeinem Missverständnis kam die Annahme auf, es müssten einem bei Tollwut fünfzehn Spritzen auf einmal in den Bauch gerammt werden: Wir sehen die Injektionen einmal fast wie eine sexuelle Penetration und einmal wie eine benevolente Hinrichtung. Der Hundefänger (gespielt von Stephen Sim) wird gleich zu Beginn ins Bein gebissen und humpelt fortan. Und es erinnert natürlich an Paul Newmans Brick in Gips. Ob es eine bewusste Entscheidung war, ist aus Impro-Sicht fast gleichgültig: Ausschlaggebend ist, dass man durch mutige Entscheidungen, solche Symmetrien, Assonanzen, Metaphern, szenische Reime zulässt.

Die fünf Spieler strahlen eine beeindruckend entspannte Selbstverständlichkeit aus. Das Team wirkt absolut ausbalanciert. Jeder weiß, wann es Zeit ist, auf die Bühne zu gehen. Nach der ersten Szene lässt sich z.B. Randy Dixon über eine halbe Stunde Zeit bis er die Bühne wieder betritt, niemand vermisst seine Figur vorher (wahrscheinlich auch die Spieler nicht), und nun kommt sie genau im richtigen Moment. Jeder Schauspieler ist äußerst wach, keine Geste geht verloren, kein Satz wird vergessen, alles ist da, um wieder aufgenommen zu werden. Man vertraut sich blind.

Tennesee Williams Applausszene - Foto: Impro-News
Applaus -auch für den atmosphärisch unterstützenden DJ Hunnicut (nicht im Bild) - Foto Impro-News

Auf der Podiumsdiskussion am 20. März war viel von dem Unterschied zwischen ernster und komödiantischer Improvisation die Rede. Nach einem Abend mit Unexpected Productions denke ich immer, jetzt müsste doch jedem klar ins Auge springen, wie unscharf diese Unterscheidung ist. Randy Dixon spielt im zweiten Teil nicht nur den Betreiber des Hunde-Asyls, sondern er wird auch eingeführt als derjenige, der die Hunde einschläfern lässt, wenn sie sich seltsam verhalten. Als man das im Laufe der Handlung schon fast vergessen hat, sehen wir wieder eine Hundefütterung, die Tiere sind aggressiver als sonst und versuchen zu flüchten. Außer ein kleiner, der anscheinend schon aufgegeben hat. Randy Dixons überraschende Reaktion darauf: „He’s next.“

 

Ohne Ernsthaftigkeit gibt es keine tiefe Komik. Ohne Spaß kein freies Spiel. Ohne Humor kein angenehmes Scheitern.

Beste Rolle des Abends: Michelle Hippes entsetzlich positive Mutter.

Bester Tempowechsel: Randy Dixons Auftritt als rennender Schuhputzer nach der langsamen Sommernacht

Bestes Akzeptieren: Michael Bils akzeptiert das indirekte Angebot, einen Kontrast zu setzen, und lässt sich durch die Anti-Tollwut-Spritzen demütigen.

Größte Aufmerksamkeit: Missie Peters erinnert sich noch nach einer Stunde an die Taktzeiten dreier verschiedener Straßenbahnen.

Preis für beste Körperkomik: Stephen Sim als Hundefänger.

Diese Show hat gute Chancen, das Highlight meiner Theater-Abende 2011 zu werden.

Thomas Jäkel
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