Improtheater: Spielerische Balance beim Multitasking

von Heike Reissig  (am 14.02.2011):

Quelle: Wikimedia

Was hat Improvisationstheater mit Multitasking zu tun?

Unter Multitasking wird die Fähigkeit verstanden, mehrere Tätigkeiten gleichzeitig zu bewältigen, etwa telefonieren und gleichzeitig fernsehen. Anders ausgedrückt, geht es darum, „wie Personen mehrere (Unter-)Aufgaben in den Kontext einer größeren, komplexen Aufgabe integrieren und durchführen“[1].

Improvisationstheater ist im Grunde pures Multitasking.  Beim Improvisieren werden wir eigentlich permanent damit konfrontiert, viele Aufgaben gleichzeitig zu erfüllen. Auf der Bühne streben wir sozusagen nach der Erfüllung der „großen, komplexen Aufgabe“, unser Publikum mit lustigen, spannenden oder in anderer Form berührenden Szenen bzw. Geschichten zu unterhalten. Zu unseren zahlreichen „Unteraufgaben“ dabei zählen beispielsweise diese: unsere Mitspieler unterstützen, sie „gut aussehen lassen“, ihre Angebote annehmen, ihnen Angebote machen, die Szene vorantreiben, den roten Faden der Geschichte finden und behalten, „keep it simple“, den Fokus nehmen, den Fokus abgeben, sich verändern lassen, immer zum Publikum gewandt spielen, laut genug sprechen, möglichst authentisch spielen,… (diese kleine Aufzählung basiert auf dem, was ich in 6 Jahren in diversen Workshops gelernt und in diversen Büchern gelesen habe). Und ganz abgesehen davon möchte wohl jeder beim Improvisieren auch seiner persönlichen Kreativität und Spielfreude Ausdruck verleihen.

Improvisationstheater ist in der Regel Teamarbeit. In den meisten Fällen stehen zwei oder mehrere Darsteller gleichzeitig auf der Bühne, um gemeinsam etwas zu erschaffen, meist unterstützt von einem Musiker und einem Lichtmacher. Dabei brauchen alle Mitwirkenden nicht nur einen gewissen Grad an Selbstvertrauen und Selbstgespür, sondern auch die einigermaßen ausgeprägte Fähigkeit, ihre Mitspieler wahrzunehmen und auf deren Signale, Angebote und Aktionen zu reagieren – und dazu die Fähigkeit, auch die Zuschauer immer im Blick zu behalten, denn diese erwarten schließlich eine unterhaltsame Show.

Beim Multitasking spielt die Aufnahmefähigkeit für gleichzeitige und verschiedenartige Reize also eine entscheidende Rolle. Bei Reizüberflutung gerät unsere Aufnahmefähigkeit jedoch schnell an ihre Grenzen.

Unser Gehirn filtert Informationen automatisch auf eine wahrnehmbare Menge. Ein bekanntes Beispiel ist der sogenannten „Tunnelblick“. In der Sportpsychologie ist damit ein Zustand der perfekten Konzentration auf das Wesentliche gemeint, den jeder Läufer oder Schwimmer gern erreichen möchte („nur meine Bahn und ich“). Im allgemeinen Sprachgebrauch wird mit „Tunnelblick“ oder „Scheuklappen“ dagegen meist entweder die Unwilligkeit oder die Unfähigkeit eines Menschen verstanden, Dinge wahrzunehmen, die außerhalb dessen liegen, wofür er sich gerade aktiv interessiert. Dieser Zustand ist beim gemeinsamen Improvisieren eher hinderlich.

Dabei ist das „Scheuklappen“-Phänomen eigentlich eine ganz normale menschliche Reaktion. Wir alle können im täglichen Leben an uns selbst beobachten, dass unsere Reaktionsfähigkeit geringer wird, wenn wir mehrere Tätigkeiten gleichzeitig erledigen – und dass wir dies je nach Situation sogar als stressig empfinden.

Beim Improvisieren werden wir im Grunde mit einer andauernden Reizüberflutung konfrontiert – und das kann bei uns Stress erzeugen. Die Frage ist, wie wir mit dieser Situation umgehen.

Wir alle machen Improtheater natürlich vor allem, weil wir Spaß haben wollen. Der Gedanke, dass wir uns dabei auch gestresst fühlen könnten, mag da seltsam erscheinen. Dabei wäre Stress eine durchaus verständliche Reaktion, denn wir stehen beim Improvisieren ja tatsächlich vor der Herausforderung, viele Sachen gleichzeitig zu bewältigen. Hinzu kommt, dass wir oft hohe Erwartungen an uns selbst und an unsere Mitspieler stellen, was den Stress noch erhöht. Das Gefühl, mit manchen Spielsituationen oder Mitspielern nicht so gut klar zu kommen und sich deshalb beim Improvisieren gehemmt oder frustriert zu fühlen, kennt vermutlich jeder Improspieler.

Die Frage ist, wie wir beim Improvisieren mit Stress umgehen und wie wir ihn verringern können. Wer die Webseite von Impro-Altmeister Keith Johnstone aufruft, stößt direkt auf diese Überschrift: „Don’t be prepared“ – „Sei nicht vorbereitet“. Anders ausgedrückt: Überleg dir nicht alles im Voraus. Mach dir keinen Kopf. Mach dir keinen Stress. Keith Johnstone hat viele Übungen entwickelt, die Darstellern helfen können, sich Stress und Kontrollbedürfnis beim Improvisieren bewusst zu machen und abzubauen – denn erst wenn der Kopf frei ist, haben spontane Kreativität und Inspiration wirklich freie Bahn.

[1] Salvucci, D. D., A multitasking general executive for compound continuous tasks. Cognitive Science, 2005, S. 457-492

2 thoughts on “Improtheater: Spielerische Balance beim Multitasking”

  1. Multitasking ist eine Fähigkeit, die Männer (incl. meinereiner) nicht sonderlich gut beherrschen. Und dennoch konnte ich bisher keineswegs feststellen, dass Männer schlechtere Improspieler sind.
    Das ist wohl so wie mit der Hummel, die nach den physikalischen Gesetzen eigentlich nicht fliegen können dürfte 😀

  2. Vor einiger Zeit habe ich gelesen, dass Multitasking nicht etwa die Fähigkeit ist viele Dinge zur gleichen Zeit zu tun, sondern so schnell zwischen den Aufgaben zu wechseln, dass es von außen so wirkt.
    Auf der Bühne hilft mir dieser Gedanke, weil ich damit nicht das Gefühl habe alles auf einmal zu können. Außerdem können an der Reaktionsgeschwindigkeit Männer wie Frauen arbeiten.

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