Wohin nur mit dem Musiker?

von Stephan Ziron:

Im letzten Beitrag wurde der Musiker beim Improtheater von mir als Mitspieler gekürt, der wichtiger Teil des Geschehens ist. Die Musik wirkt als aktiver Gestalter und der Musiker ist der Produzent des Klangerlebnisses. Dennoch bekommt der Musiker oft einen recht undankbaren Platz bei Auftritten: Links oder rechts am Bühnenrand ist üblich. Auch beliebt ist es, den nach dem Auftritt meist so geschätzten Kollegen vor der Bühne zu platzieren. Natürlich ist es oft den kleinen Bühnen geschuldet, dass der Musiker nur einen stiefmütterlichen Platz bekommen kann.

Hinter die Säule neben die Bühne

Säulen. Quelle: Wikimedia/Deutsche Fotothek

Im schlechtesten Falle bedeutet dies, dass seine Kollegen ihn hinter die Säule neben die Bühne setzen, von wo aus das Publikum wiederum ebenfalls keine Möglichkeit hat, ihn zu sehen. Eine typische Aussage eines Improspielers zu mir als Pianisten ist dann: “Das ist mit dem großen Instrument und seiner Lautstärke nicht anders lösbar. Es ist ja sonst kein Platz auf der Bühne für die Action-Szenen. Sorry! – Aber deine Musik ist schön…”. Der Abend plätschert dahin mit belanglosem Geklimper vom Klavier zu Slap-Stick-Humor der Improgruppe, in der sich jeder einzelne nur selbst feiert und keine Angebote annimmt. Weder vom Mitspieler, was ja wenigstens zuträglich für eine erträgliche Szene wäre, noch vom Musiker, weil die Musik ja nur zur Szenenbegleitung gebucht wurde. Und irgendwas neben den endlosen Dialogen während der Szenen noch zu hören war. Wahrscheinlich “schöne Musik” vom Musiker, der begleitet hat.

Das Publikum wird in diesem Punkt oft unterschätzt. Es bemerkt nämlich, im Gegensatz zu Annahmen vieler Improspieler, wenn die Gruppe keine Gruppe oder der Musiker “nur” Begleiter ist. Fühlt der Musiker sich in der Begleiterrolle wohl, gibt es kein Problem. Fühlt er sich vom Ego der Improspieler wenig beachtet, seine Angebote nicht akzeptiert und als Klimperer in die Begleiterrolle gedrängt, strahlt er das auch aus. Dann ist er froh hinter der Säule neben der Bühne zu sitzen. Und er ist noch froher, wenn er sich nicht auch noch auf der Bühne nach diesem Auftritt verbeugen muss. Ich möchte nicht alles so schwarz malen.

Der optimale Fall

Wenn wir vom optimalen Fall ausgehen, finden wir ein gutes Mittel zwischen Publikum und Improspielern. Denn: es ist genauso interessant und wichtig den Musiker bei der Ausübung seiner Kunst sehen zu können, als auch die Spieler. Das Publikum kommt wegen allen Künstlern: Improspielern und Musiker. Immerhin sind die meisten Improgruppen sehr stolz darauf, in ihre Ankündigung schreiben zu können, dass sie einen hervorragenden Musiker dabei haben, der einen Abend voll großartiger Songs garantiert.

Zum Musik machen gehört nicht nur der akustische Reiz, sondern auch der visuelle, weil er den Ausdruck des Künstlers unterstützt. Wenn man dem Spieler die Mimik und Gestik nehmen würde, könnte man gleich ein Hörspiel aufführen. Dabei ginge das Visuelle verloren. Ein Instrument, das Wort sagt es, ist Mittler für das, was der Musiker ausdrücken möchte. Ohne ihn wäre ein Klavier nur ein Schrank mit Tasten, Saiten und diversen technischen Installationen. Für viele Zuschauer ist es mindestens genauso spannend, zu beobachten, was der Musiker während einer Szene tut und wie er sich dabei mimisch und körperlich ausdrückt, wie einen Spieler zu sehen. So geben wir dem Zuschauer die Möglichkeit den Instrumentalisten als aktiven Spieler zu bewerten.

Raum für den Musiker

Blick auf die Bühne mit einem Orchester, 1953. Quelle: Wikimedia / Deutsche Fotothek‎

Gehen Musiker und Spieler davon aus, dass einzig die Musik das Wichtige und die Person unwichtig ist, ist der Sichtkontakt zwischen Publikum und Musiker selbstverständlich nicht entscheidend. Nur dann muss der Musik auch wirklich ein unsichtbarer, aber bemerkbarer Raum gegeben werden. Selbst wenn ein Klavier nicht auf der Bühne stehen kann, sollte man doch darauf achten, dass der Pianist auf die Bühne und das Publikum das Spiel oder zumindest das Gesicht des Musikers sehen kann.

Ist dies alles aus Platzgründen nicht realisierbar, sollte der musikalische Mitspieler zumindest im übertragenden Sinne seinen Raum bekommen. Ich kann mich kaum daran erinnern, wann ich das letzte Mal eine Strophe in einem improvisierten Lied als instrumentales Solo gespielt oder eines bei einer Improtheater-Show gehört habe. Das könnte daran liegen, weil sich Improspieler dann mit Sprache zugunsten von Fokuswechsel zurücknehmen müssten. Vielleicht wissen sie aber auch schlichtweg nicht, was sie in dieser Zeit auf der Bühne machen sollen.

Leider sind die einzigen Solostellen oft nur die Einlassmusik oder der Jingle, der zum Aufgang der Improspieler gespielt wurde. Eine Sequenz an einem Impro-Abend könnte eine musikalische Improvisation sein, in der die Bühne entweder leer bleibt und das Licht gedämpft oder sogar ganz aus ist. Vorausgesetzt der Musiker ist dazu fähig und möchte dies. Diese Sequenz in eine Szene zu überführen oder als Einleitung und Inspiration für Folgendes zu sehen, wäre eine Möglichkeit. Auch eine körperliche, nonverbale Szene wäre ein neuer Impuls für einen Improabend. Entweder man lässt dies also als reines Solo des Musikers stehen oder nutzt dies für die Fortführung des Abends. Damit hätte der Musiker Raum bekommen und muss nicht auf der Bühne zu sehen sein.

Wird darauf nicht geachtet, kämpft er nicht nur mit seinen Impro-Kollegen um den Status eines Aktiven, sondern auch mit dem Publikum und wird wirklich zum Begleiter der Gruppe und auch so wahrgenommen. Seine Position am Bühnenrand bestätigt dann diesen Status.

Als Pianist muss ich zugeben, dass dieses Instrument nicht gerade durch seine Kompaktheit überzeugt. Gitarristen haben es da leichter, wenn sie nicht mit einer Verstärkerwand und diversen Effektgeräten auftreten. Nicht auszudenken, was mit einem Flügel auf der Bühne passiert, die nicht geräumig ist. Zwar kann man den Pianisten gut sehen – zu überhören ist er allerdings auch nicht, wenn nicht sensibel genug gespielt wird beim Spiel ohne Mikrophone – aber der Aktionsradius der Spieler schränkt sich stark ein. Man sieht: Die Positionierung des Musikers bringt wirklich Probleme mit sich. Aber man muss diese vermeindlichen Schwierigkeiten für seine Inszenierung zu nutzen.

Das Gesamtbild

Wie gesagt, viele Bühnen sind einfach klein und es haben selbst zwei Improspieler kaum Platz zum Spielen. Was ich sagen will, ist schlichtweg: Man muss sich Gedanken machen um das Bild, was dem Publikum präsentiert wird. Möchte man eine Hand voll Egoisten und Rampensäue begleitet (!) von einem klimpernden Pianisten sehen? Oder zeigt man eine gemeinsame, inspirierende Gruppenimprovisation, wo jeder seinen Raum bekommt?

Wenn kein Platz da ist, dann soll man sich wenigstens gegenseitig Raum geben. Man setze also bei genügend Platz, den Musiker auf jeden Fall mit auf die Bühne. Der Rand bietet sich dabei einfach an. Hat man einen kleineren Raum und das Publikum sehr nah am Geschehen und auch am Klavier, sollten die Bässe des Klaviers von den Zuschauern weg zeigen. Viele Klaviere sind in den Bässen sehr voluminös, in den Höhen eher dünner. Damit entgeht man der Gefahr, dass das Klavier zu laut ist für das Publikum.

Foto: Klaus Friese, HamburgerJung unter CreativCommons

Ein Soundcheck mit Gesang empfiehlt sich immer. Der sollte nicht stiefmütterlich durchgeführt werden, sondern bewusst und mit Zeit gemacht werden. Jeder sollte wissen, wie laut er sein darf und eventuell sein muss für die letzte Reihe. Auch wenn man jede Woche im selben Raum spielt. Kein Abend ist gleich. Das sollten Improspieler ja wissen. Das gleiche gilt beim Sound. Lieber einmal mehr vorher gecheckt, als böse Überraschungen erleben. Vielleicht klemmt ja doch eine Taste oder das Mikrophon hat Aussetzer. Und vor allem ist es immer wieder eine Kontrolle für sich selbst: Bin ich präsent genug, artikuliere ich richtig trotz Mikrophon, höre ich die Sänger?

Auf keinen Fall empfehle ich die Platzierung des Musikers neben oder vor das Bühnenpodest. Die Bühne ist ja genau aus dem Grund erhöht, dass die Menschen darauf den Fokus bekommen und schlichtweg als Künstler identifiziert werden. Nimmt ein Klavier oder gar Flügel zu viel Platz auf der Bühne ein, bleibt jedoch nichts anderes übrig. Aber auch dann darf das Instrument nicht zu weit weg, sondern sollte im Zusammenhang mit der Bühne platziert werden. Es sollte immer das Bild entstehen: Bühne und Klavier gehören zusammen, Musiker und Spieler sind eine Einheit.

Sitzt der Musiker nicht mit auf dem Podest, kann es hilfreich sein, ihn keine Einlassmusik spielen zu lassen. Er sollte dann seinen eigenen Aufgang bekommen, auch wenn es kein Aufgang auf die Bühne ist. Er definiert sich aber dramaturgisch als Anfangspunkt und das Publikum lenkt zumindest zu Beginn der Vorführung seine Aufmerksamkeit auf ihn. Dieses Ritual ist für den Musiker genauso wichtig, wie für das Publikum, das zur Ruhe kommt während der Schritte des Musikers zum Klavier.

Ihm sollte man auch dann einen Lichtspot geben, wenn das Instrument nicht auf der Bühne steht. Dies kann man auch weiterführen und einen Lichtwechsel vollziehen, wenn die Spieler auftreten. Damit hat man den Fokus für den Vorreiter komplett am Klavier und kann mit diesem Wechsel bereits signalisieren “Das war das Intro, jetzt sind auch die Spieler da. Jetzt geht es mit allen los. Und übrigens ist das nicht nur unser Begleiter am Klavier, sondern ein wichtiger Teil unseres Ensembles.”.

Ich halte persönlich nicht sehr viel von Einlassmusik, also Musik während das Publikum den Saal betritt. Die improvisierte Musik wirkt dann wie Improtheater auf der Straße. Das Publikum versteht nicht den Zusammenhang, kann die Musik nicht wirklich einordnen und alle improvisatorische Mühe ist dahin. Wirkt vielleicht fade, schräg oder eben belanglos. Vielleicht ist das der Grund, warum Einlassmusik so oft nach Fahrstuhl-Jazz oder Stummfilm klingt. Ich selbst bin dabei oft uninspiriert und auch irritiert, weil die Gäste nunmal Lärm machen, wenn sie ihren Platz aufsuchen. Dann sollte man doch lieber auf eine CD zurückgreifen und dem Musiker seinen Auftritt vor den Spielern lassen.

Es ist nicht unwichtig, in welche Stimmung wir das Publikum vor Beginn einer Show setzen. Daran sollte die Musik auch orientiert sein. Nicht einfach immer die selbe Musik laufen lassen. Warum nicht mal thematisch sein?! Wenn ich einen Krimi spiele, spiele Krimisoundtracks. Das Publikum kommt unterbewusst in die richtige Stimmung und die Künstler letztlich auch. Der Zuschauer bemerkt in seiner unterbewussten Wahrnehmung viel mehr, als die Szene auf der Bühne. Seine Gedanken wandern immer über das gesamte Geschehen. Ob ein Spieler aufmerksam der Musik folgt oder sich von ihr leiten und inspirieren lässt, bemerkt auch ein Laie. Auch wenn er nicht immer alles in Worte fassen kann.

Der Musik und der Person, die sich über sie ausdrückt Raum zu geben, ist immer der bessere Weg, als ihm “nur” nach dem Auftritt Dank zu sagen für die “schöne Musik”. Die Freude am gemeinsamen Spiel und gelungenen Szenen wiegt oft mehr, als tausend Dankesworte.

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Stephan Ziron ist Musikwissenschaftler und Improvisationsmusiker. Er ist Ensemblemitglied des Improvisationstheaters Paternoster Berlin und spielt jeden 28. im Monat sein improvisiertes Pianokonzert „Hear and Now“ im Theaterdock. www.hear-and-now.de | www.stephanziron.de
Thomas Jäkel
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One thought on “Wohin nur mit dem Musiker?”

  1. Ja, die Präsenz des Musikers wird oft unterschätzt. Aber nicht nur von den Schauspielern, sondern auch von den Musikern selbst. Ein zu den Szenen dahin klimpernder Musiker verschenkt seine Talente.
    1. Die Platzierung. Ja, die Bühnen sind oft klein. Mit dieser Malaise müssen nicht nur die Schauspieler umgehen, sondern auch der Musiker. Ich denke, die Frage lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern ist an den Gegebenheiten des Raums und den Erfordernissen der Show zu beurteilen. Ich habe auf einer Bühne gespielt, die zu 1/3 vom Flügel ausgefüllt war, und es war OK. auf einer größeren Bühne hingegen war aus anderen Gründen selbst die Präsenz eines Geigers unpassend gewesen.
    Das Argument Augenkontakt überzeugt mich nicht. Andauernder Augenkontakt macht sowieso einen blöden Eindruck für die Zuschauer. Gute Improspieler hören aufeinander und lassen sich, wie hier schon richtig bemerkt wird, voneinander beeinflussen. Wie man sich beim Klaviersolo verhält, muss evtl. eben auch mal geübt werden.
    Wenn der Musiker von seinen Mitspielern “nur” als Begleiter wahrgenommen wird, ist wohl mehr im Argen als die physische Präsenz auf der Bühne.
    2. Dass es ebenso wichtig sei, den Impro-Musiker live zu sehen, wie die Schauspieler, halte ich, wenn es nicht explizit eine Musik-Show ist, für eine steile These. im konventionellen Theater, in der Oper und im Film sehen wir die Musiker auch nur ausnahmsweise. Wenn es bühnenmäßig möglich ist, ist es ja eine schöne Bereicherung, aber ich denke, man kann eine gute Impro-Show sehen mit unsichtbarem Musiker. Mit unsichtbaren Spielern wird’s schon schwieriger. Auch wenn das legendäre http://www.dunkeltheater.de hier Großes geleistet hat 😉
    3. Soundchecks. Ich finde, man muss sich auch der Begrenztheit des Nutzens von Soundchecks bewust sein. Z.B. ändert sich der Sound oft enorm durch die Anwesenheit des Publikums. Da kann man vorher an Mitten, Höhen usw. sich einen Wolf drehen. Am Ende muss doch nachgeregelt werden. Ich habe im Improtheater Soundchecks von 1/2 Stunde erlebt, und das in Räumen, in denen man schon dutzend Mal aufgetreten ist. Ich habe da oft das Gefühl gehabt, dass da eine Sicherheit gesucht wird, die nicht zu haben ist.
    4. Gesamtbild. Ob man sich als Truppe von Rampensäuen präsentiert, ist nicht eine Frage der physischen Präsenz oder Abwesenheit des Musikers. Entweder die Truppe ist sensibel oder nicht.

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