Plädoyer für (und gegen) Musik im Improtheater

Musik im Improvisationstheater ist ein wichtiges Thema und wir freuen uns, dass Stephan Ziron als Musiker und studierter Musikwissenschaftler ab und an für Impro-News.de seine Gedanken aufschreiben will. Mit seinem ersten Artikel geht er gleich in die Vollen und stellt die Frage ob es Musik beim Improtheater überhaupt braucht.

von Stephan Ziron:

Es gibt immer zwei Seiten einer Medaille, Ying und Yang, Pro und Contra. Nun liegt es wohl in der Natur des Menschen, dass er das verteidigt, was er tut. Weil es seine Rolle ist, seine Entscheidung, seine Taten hinter der er stehen sollte. Also darf er seine vermeintlichen Gegner nicht zu sehr verstehen und nicht zu einsichtig sein. Ebenso erlebe ich es als Musiker sehr oft beim Improtheater. Aus eben diesem Reflex stehe ich sehr oft auf der Seite der Verfechter der Musik. Weil ich nun einmal Improvisationstheatermusiker bin. So lang wie das Wort, so lang der Streit, ob Musik nun gänzlich hilfreich und gut für diese Kunstform sei oder nicht. Meine Verteidigungshaltung ist allzu verständlich, sonst wäre meine Rolle obsolet bei einer Aufführung. Schnell sind Vorteile von Szenenbegleitung und Songs in einer Show oder Langform hervor gekramt und verkündet. Mit stolz geschwellter Brust in den Kampf der Kunstformen: Theater gegen Musik, Wort gegen Ton. Wer dient nun wem? Eine lange Diskussion der letzten Jahrhunderte. Diese erspare ich den geneigten Lesern an dieser Stelle.

Musik als Inspiration und Sicherheitsnetz für Ideen – Alles eine Frage der Erfahrung

Nach Auftritten sagen mir ImprospielerInnen oft, wie gut sie sich getragen fühlten von meiner Musik. Sie meinen vor allem Szenen, in denen Musik wirklich zur emotionalen Tiefe beigetragen und angeregt hat. Ich bediene mich bei meiner Arbeit häufig aus der Trickkiste der Filmmusik. Und da die Wahrnehmung der SpielerInnen erlernt und durch Filme und ihrer Musik getrimmt ist, beeinflusst dies auch immer wieder aktiv den Verlauf der Szene beim Improtheaterspiel. Ein Beispiel ist das berühmte, drängend wiederholte und damit Spannung und Beklemmung auslösende Tonintervall der Sekunde in hoher Lage. Sofort erinnern sich Hörer an den Weißen Hai. So einfach, wie wirkungsvoll. Warum? Weil wir in Verbindung mit den Bildern dieses Films gelernt haben, dass dieses Intervall Spannung, Angst und weitere Emotionen bedeutet. Die musikalische Umsetzung der Schreckensbilder in einem Intervall. Einfach – genial. Ebenso wirken die musikalischen, von den meisten Menschen emotional bewerteten Tongeschlechter Dur und Moll. Gemeinhin herrscht die Auffassung, dass Moll traurig sei und Dur fröhlich. Ein Klischee, das schlicht nicht wahr ist. Die Mehrzahl der bekannten Pop-Hits besteht aus munter gespielten Harmonien in Moll. Dass Musik also so eine Hilfe und Netz für Ideen im Improtheater ist, rührt zum großen Teil daher, dass Menschen Klischees und sogenannte Prototypen im Gehirn gespeichert haben.

Roter Hammer CC by Michael Jastremski
Roter Hammer (CC) by Michael Jastremski

Ein kleines Experiment, dass jede/r ImproSpielerIn kennt: Rufen Sie mir ein Werkzeug auf die Bühne! Die meisten Menschen rufen Hammer. Oder eine Farbe: Rot. Scheinbar sind diese Begriffe Prototypen, die abgerufen werden. Quasi die ersten Assoziationen, die vor dem inneren Auge erscheinen, wenn wir gefragt werden. Genauso funktioniert dies mit der Musik. Auch wenn wir vorher nicht danach fragen. Als Musiker bediene ich mich dieser Prototypen und der Wiedererkennungseffekten der Filmmusik. Denn Musik kann man lernen! Sei sie auch noch so schräg im ersten Moment. Auch Musik ist eine Sache der Erfahrung, des wiederholten Erlebens und der Sozialisation. Ich bewege mich als Musiker, genauso wie die Akteure in der Szene, zwischen den Klischees und bilde einen Charakter bzw. eine Figur. Quasi einen weiteren Mitspieler. Auch wenn er für viele auf den ersten Blick, oder soll ich lieber erstes Hören sagen, unsichtbar oder unhörbar bleibt. Im Fußball würde man sagen: Der zwölfte Mann auf dem Platz. Die Unterstützung, die Sicherheit bei Auswärtsspielen, wo Botschaften hinaus gerufen werden in die Welt. Die SpielerInnen fühlen sich dadurch unterstützt, wie eine Mannschaft, deren Fans ihre Choreografie zum Besten geben. Nur ist der Musiker mit auf dem Spielfeld und ebenso für das Ergebnis verantwortlich. Manchmal ist der musikalische zwölfte Mann Retter in der Not, gibt die so sehnlichst gewünschte Inspiration durch Harmonien oder wenige Töne.

Problematisch wird es allerdings, wenn Musik die Szene „zukleistert“ mit einem dicken Teppich von Tönen. Ein Sandalenepos wird die gesamte Szenendauer untermalt. Oder unter einer Slapstick anmutenden Sequenz wird stetig im Ragtime-Stil darunter geklimmpert. Dies passiert zum Einen, wenn ich nicht ganz bei der Sache, selbst uninspiriert bin oder den SpielerInnen hinterher hänge. Das passiert leider sehr häufig und ist eine Frage der Improtechnik.

Die Falle 5, 4, 3, 2, 1, Los! – Eine Frage der Technik

Fünf Sekunden geben sich die Akteure und zählen mit dem Publikum herunter. Verbreitet herrscht die Auffassung, dass nach dem gemeinsamen, energetischen Los! die Bühne nicht leer sein darf. Warum? „Pausen gehören zum Rhythmus.“ heißt es so schön. Und nicht nur in der Musik. Warum nicht auf Impro-Bühnen? Scheinbar möchte man nicht nur die peinliche Stille unterbrechen, oder sofort seine sensationelle Idee auf die Bühne stellen, bevor es sich die Muse anders überlegt, sondern es ist eine Frage der Technik. In Workshops und Kursen wird den lernwilligen ImprospielerInnen beigebracht, dass die Bühne nicht leer sein darf. Damit verhindert man aktiv Abwechslung in Szenenanfängen. Der Musiker, sofern er als aktiver Mitspieler und nicht bloß als netter Begleiter gesehen wird, hat doch genauso das Recht und die Möglichkeit, Ideengeber zu sein und seiner Inspiration freien Lauf zu lassen. Wie wir aus Improkursen lernen, finden wir Figuren und Charaktere über ihren Gang. Schlussfolgernd kann allein der Aufgang einer Figur, inspiriert durch die Musik vorher und während dessen, zur Vielfältigkeit und Abwechslung bei Figurenspiel und Szenenanfängen beitragen. Wenn eine Improgruppe sachdienlich spielt und nicht nur aus Rampensäuen und Egoisten besteht, lässt sie dies geschehen und vertraut darauf, dass der Musiker sich ebenfalls nicht egoistisch und selbst verliebt in den Vordergrund spielt. Das wichtigste an der Szene ist immer noch die Szene. Und so sollte auch die Musik dienlich für die Geschichte, Figur, Beziehung und alles was wichtig ist in diesem gemeinsamen (!) Moment der Erfindung sein.

Welch ein Spaß es machen kann, gemeinsam Klischees zu bedienen, genieße ich genauso, wie viele ImprospielerInnen. Musik weckt in jedem von uns Bilder. Und die Freude über gemeinsame Bilder erleben wir in gelungenen Szenen – auf der Bühne und im Publikum. Der Fokus sollte jedoch auf dem gemeinsamen Gestalten liegen. Der alte Grundsatz „Weniger ist mehr, lass Raum für deine MitspielerInnen.“ gilt im Zusammenhang mit Musik ebenso, wie ohne. Das gilt auch für Musiker. Denn eine gute Szene kommt auch ohne Musik aus. Die Frage, die ich mir immer wieder stellen muss, lautet: „Braucht die Szene jetzt meine Musik oder nicht?“. Wenn also jemand behauptet, Improtheater kommt auch sehr gut ohne Musik aus, stimme ich ihm zu, auch wenn ich mich damit überflüssig machen würde. Doch ein Fußballspiel ohne Spieler wäre sinnlos. Der gerechteste Schiedsrichter in dem Spiel ist und bleibt das Ohr.

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Stephan Ziron ist Musikwissenschaftler und Improvisationsmusiker. Er ist Ensemblemitglied des Improvisationstheaters Paternoster Berlin und spielt jeden 28. im Monat sein improvisiertes Pianokonzert „Hear and Now“ im Theaterdock. www.hear-and-now.de | www.stephanziron.de
Thomas Jäkel
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5 thoughts on “Plädoyer für (und gegen) Musik im Improtheater”

  1. Schöner Artikel. Ein paar Anmerkungen.
    1. Ja, Musik zu interpretieren ist gelernt, sozial bedingt usw. Allerdings gibt es auch unmittelbare Wirkungen, egal ob man den Weißen Hai gesehen hat oder nicht. Z.B. wirken plötzlich einsetzende dissonante Akkorde in den extremen Lagen bei fast jedem verstörend oder erschrecken – unabhängig wie und in welchem Kulturkreis man sozialisiert wurde.
    Rhythmisch klar akzentuierte Musik wie Märsche oder Techno animieren zum Sich-Dazu-Bewegen; deshalb wird Tanzmusik von Improspielern als Szenenmusik oft als schwierig empfunden, und der Impuls liegt nahe, aus der Szene auszubrechen und mit Singen zu beginnen.
    2. Auch gelernte Musik muss nicht klischiert sein. Wenn wir dem Klischee folgen – egal ob Impro-Schauspieler oder -Musiker kommen wir mit dem Improtheater nie aus der Parodie-Ecke raus. Film- und Theatermusik wird intelligent, wenn sie über die Eins-zu-Eins-Begleitung hinausgeht, wenn sie, wie Hanns Eisler in seinem Buch über Filmmusik nicht müde wird zu betonen, kommentiert, statt nur nachahmt.
    3. Du hast recht, Theater-Musik kann auch mal Schweigen sein. Am Schlimmsten sind die Impro-Musiker, die einfach die ganze Zeit vor sich hindudeln, ohne Akzentuierung, ohne Emotionalität, ohne sich von der Szene beeinflussen zu lassen.
    4. Das Einzählen ist ohnehin eine Impro-Kinderkrankheit, wahrscheinlich im Theatersport entstanden, um das Zögern der Spieler zu eliminieren. Als Impro-Konvention ist es furchtbar.

  2. Lieber Dan,

    danke für Deinen Kommentar! Ich freue mich sehr zu einer Diskussion anregen zu können.

    Zu Deinen Punkten:

    1. Richtig! Musik ist nicht nur Teil der Sozialisation bzw. eines Lernprozesses. Um beim Beispiel der Dissonanzen zu bleiben: Unser Gehirn reagiert natürlich auch schon seit der frühesten Menschheitsgeschichte, laut Hirnforschung, auf solche starken Reize. Das wäre dann eine Hirnreaktion, die einfach menschlich ist und nicht sozial bedingt. Man kann das Beispiel auch noch verschärfen, im wahrsten Sinne des Wortes: Das Kratzen mit dem Fingernagel an einer Tafel erzeugt Frequenzbereiche, die innerhalb von Bruchteilen von Sekunden die Nackenhaare aufstellen lässt und zur Flucht anregt. Nun würden wir sicher in unserer heutigen Welt nicht sofort weg laufen, aber dieses unwohle Gefühl ist im Prinzip eine abgeschwächte Reaktion des Hirns.

    2. Auch richtig! Vielleicht sollte ich den Begriff “Klischee” erweitern oder anders benutzen. Es gibt in jeder Musik bzw. Genre bestimmte Parameter, wie Rhythmus, Melodie, Zusammenklang, bestimmte Instrumentierung, die wahrgenommen und gelernt werden. Diese werden wieder erkannt und können einem Genre zugeordnet werden oder zumindest grob. Das wäre mein Gedanke hinter dem Begriff Klischee.

    Schön, dass du Hanns Eisler als Beispiel bringst. Dafür bin ich sehr dankbar! Der Punkt, den ich angesprochen habe, geht eher in Richtung nachahmen oder überhöhen. Kommentieren ist nicht falsch oder unangebracht. Wichtig wäre nur das Wechselspiel zwischen Musikervorschlag und Vorschlag der Spieler. Dann kann Musik ein Ideengeber sein und muss nicht kommentieren.

    3. Auch alles eine Frage der Kommunikation. Vielleicht wurde vielen “dahin dudelnden” Musikern noch nie gesagt, dass das so nicht gewünscht ist. Vielleicht haben die ImproSpielerInnen aber auch gar nicht wirklich auf den Musiker gehört und konnten es ergo nicht ändern. 😉

    4. Eine Variante wären kurze Blacks vom Lichttechniker. Der imaginäre Vorhang ist ja dadurch gegeben. Ich bin kein Freund vom Einzählen. Für manche Spiele ist es gut, für Szenen oft ungeeignet.

  3. Strebetendenz-Theorie: Warum klingt Moll traurig?

    Die Strebetendenz-Theorie sagt, dass Musik überhaupt keine Emotionen vermitteln kann, sondern nur Willensvorgänge, mit denen sich der Musikhörer identifiziert. Beim Vorgang der Identifikation werden die Willensvorgänge dann mit Emotionen gefärbt.

    Bei einem Durakkord identifiziert sich der Hörer mit dem Willensinhalt “ja, ich will!”, bei einem Mollakkord mit dem Willensinhalt “ich will nicht mehr!”. Der Willensinhalt “ich will nicht mehr!” kann als traurig oder als wütend erfahren werden, je nachdem, ob ein Mollakkord leise oder laut gespielt wird. Wir unterscheiden hier genauso, wie wir unterscheiden würden, wenn jemand die die Worte “ich will nicht mehr!” einmal leise flüstert und einmal laut herausschreit. Im ersten Fall klängen sie traurig, im zweiten wütend.

    Auf ähnliche Weise kann die Strebetendenz-Theorie die Wirkungen anderer Harmonien erklären. Zur Strebetendenz-Theorie gibt es jetzt einen Wikipedia-Eintrag:
    http://www.de.wikipedia.org/wiki/Strebetendenz-Theorie
    und einen Artikel im neuen Musikforum des Deutschen Kulturrats auf Seite 52:
    http://www.kulturrat.de/dokumente/MuFo-01-2015.pdf
    Bernd Willimek

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